Sunday, February 18, 2018

Hiſtori von Eroberung der anſehlichen Veſten Sigeth,


Hiſtori von Eroberung der anſehlichen Veſten Sigeth,
welche der Türkiſch Kaiſer Solimanus
im Jar 1566 den 7. Septembris eingenomen.
Source: Book

Erſtlich eon einem anſehlichen des Herrn Graven von Serin ſeligen diener in Crabatiſcher Sprach beſchriben, und den, ſo auch mit und bei geweſen, in Lateiniſch, jetzt aber dem gmainen man undſunſt menigklich zu gefallen in Teutſch transferiert.

Niclas Zrinys Heldentod vor dreihundert Jahren und deſſen Verherlichung durch die Dichter.


Niclas Zrinys Heldentod vor dreihundert Jahren und deſſen Verherlichung durch die Dichter.

Source: Book

N. Zrinys Heldentod und defſen Verherlichung durch die Dichter[1].

Am 7. September 1566 ſtarb Graf Niclas Zriny der ältere vor dem brennenden Sigeth den Heldentod durch Türkenhand. Man hat ihn den ungariſchen Leonidas genannt, obwol er verſchieden von ſeinem Vorbilde den Feind wirklich abhielt vom weitern vordringen, ſo daſs ein großer Theil der bedrängten Länder gerettet war. Das wuſste man auch in Ungarn wie in Deutſchland; Von beiden Völkern iſt er darum von jeher gefeiert worden wie kaum einer, und es iſt eine Pflicht der Dankbarkeit, die dreihundertjährige Wiederkehr ſeines Todestages nicht unbeachtet vorübergehen zu laſſen. Einen Beitrag zur Belebung ſeines Gedächtniſſes will auch dieß Schriftchen liefern, und zwar zunächſt einfach erzählen was geſchehen iſt, um dann noch des Helden Verherlichung durch die Dichter beider Sprachen kurz zu betrachten. Vielleicht iſt die bewegte Zeit, in der dieſe Zeilen" geſchrieben werden – weit entfernt, von ſolchen Studien abzuhalten – noch ein Anlaſs mehr, grade auf Ungarn einen Blick zu richten, und zu ſehen, was es für die Habsburgiſchen Herſcher gethan und wie es ihm vergolten worden.

Wednesday, February 7, 2018

Vorwort zum hiſtoriſch-dramatiſchen Tongemälde „ Zrinyi“.


Vorwort zum hiſtoriſch-dramatiſchen Tongemälde „ Zrinyi“.

in Aesthetische Rundschau 1866
by August Adelburg 

Thursday, February 1, 2018

Die Belagerung von Sigeth. Friedrich Kind. 1807



by Friedrich Kind.
 Tulpen, volume 3
Leipzig, bei Johann Friedrich Hartknoch 1807



Die Belagerung von Sigeth.


 1.

An der Grenze Nieder - Ungarns, auf einer von Sümpfen und Flüſſen durchſchnittenen Ebene, liegt, wegen ihrer Umgebungen alſo genannt, die Stadt Sigeth, zu Deutſch: die Inſel. Eine Seite derſelben, welche der Bach Alm us mit trüben Gewäſſern umfließt, wurde im funfzehnten Jahrhundert durch Thür me, Zugbrücken und fünffache Bollwerke zu einem faſt unüberwindlichen Kaſtell angelegt; die andere Seite, welche den Namen der Altund Neuſtadt führt, war zwar weniger feſt, jedoch - von zwei Wällen und einem tiefen, ſchlammigen Graben umgeben. Schon im Jahre 1556 widerſtand dieſer Platz, der nicht mit Unrecht für den Schläſſe zur Ungarſchen Krone galt, den ſiegreichen Waffen Solymans; der Sultan erlitt davor einen ſo em pfindlichen Verluſt, daß er ſich zu einem Waffenſtillſtande bequemen mußte.

Als dieſer noch in ſeinem hohen Alter furchtbare Eroberer zum neunten Male in Ungarn einzufallen drohte, nämlich zu Anfange des Jahrs 1566, hatte Kaiſer Ferdinand die Vertheidigung dieſer Feſtung dem trefflichen Helden, Nicolaus, Grafen von Serin, mit , uneingeſchränkter Gewalt, übertragen. War Serins Ehrfurcht gebietendes Haupt gleich vom Alter gebeugt; ſo glühte doch in ſeiner tapfern Bruſt bei der Vaterlandsliebe des Grei ſes der feurige Muth eines Jünglings, das Ehrgefühl des kräftigen, im Glück und Unglück bewährten Mannes. Zwei Söhne, der wilde, brauſende Thaddäus, der ſanfte, fröhliche Cyrill, und ein Schweſterſohn, Caspar Alepin, der älter, als jene, ſich ſchon mehrmals rühmlichſt ausgezeichnet hatte, dienten unter ſeinen Befehlen; ihr gemeinſchaftlicher Freund, Lorenz Juranizſch, Rittmeiſter bei einem Ungarſchen Fähnlein, ward auch vom Vater vorzüglich begünſtigt, ja faſt als Sohn geliebt, und nur ſeit kurzem hatte ſich zwiſchen dem edlen Commandanten und dieſen ſeinen Untergebenen eine Mißhelligkeit eingeſchlichen.

Der wackere Juranitzſch, der an kriegeri ſchem Geiſte, wie an perſönlicher Tapferkeit, keinem ſeiner Waffenbrüder nachſtand, an Liebenswürdigkeit und Unbeſcholtenheit der Sitten ſie alle übertraf, war eben deshalb, mit Vorwiſſen des Gouverneurs, bei einer reichen ade: ligen Wittwe einquartirt worden, und die enge Nachbarſchaft mit Fräulein Stephanien, der einzigen Tochter jener Wittwe, hatte gleich anfänglich einen unauslöſchlichen Funken in ihm entzündet. Kannte er bis dahin keinen Wunſch außer dem, der Gunſt ſeines edlen Anführers ſich immer würdiger zu machen; ſo empfand er jetzt unaufhörlich eine beklemmende Unruhe, eine leidenſchaftliche Sehnſucht, deren Grund er ſich ſelbſt nicht einzugeſtehen wagte. Alles, was er beſaß, war ſein Degen und ſein muthiges Roß; zudem war, nach ſeiner Art zu denken, die Bahn zu einem ruhmvollen Ziele ihm erſt aufgethan, und die Zeiten verſprachen nichts weniger, als eine ruhige Zukunft; wie hätte er es unter dieſen Umſtänden wagen können, in ſeinem Herzen auch nur die entfernteſte Hoffnung zu nähren?

Auch Stephaniens Auge war nicht unge ſtraft auf den jungen, ſchlanken Krieger gefallen. Sie wußte ſelbſt nicht, was ihr begegnet war; aber, bei der größten Herzensunſchuld und Sittſamkeit, konnte ſie doch, ſo oft ſein klirrender Gang auf der Treppe, oder das Getrappel ſeiner ſich ſtellenden Reuter auf der Straße ſchallte, es nie über ſich bringen, "die Vorhänge nicht auf das ſorgfältigſte zuzuziehen. Ach! und ihr Buſen klopfte dann ſo unruhig, ihre Hand zitterte ſo heftig, daß ſelbſt die ſchützenden Vorhänge nicht ſelten an ihr zu treuloſen Verräthern wurden!

Faſt einen Monat lang kam es unter den Liebenden nicht zu der mindeſten Annäherung; ſtatt ſich freundlich zu begegnen, flohen ſie vor einander, und fügte es ja einmal der boshafte Zufall, daß ſie, ohne die Höflichkeit zu verletzen, ſich nicht ausweichen konnten; ſo grüßte Juranitzſch mit kriegeriſchem Anſtand, und ſchlug die Augen zur Erde; ſo erwiderte Stephanie den Gruß bebend, und erröthete. Endlich und ganz durch ein Ungefähr fand ſich für das zärtliche Geheimniß eine Sprache, deren leidenſchaftlichſte Ausdrücke man glücklicherweiſe nach Befinden der Umſtände für die gleichgültigſten und unverfänglichſten ausgeben konnte.

Stephanie war Meiſterin auf der Harfe, und ihre bejahrte Mutter, auf das Talent des ſchönen, einzigen Töchterchens ſich nicht wenig einbildend, nöthigte ſie zuweilen, ſich zu üben; Juranitzſch hatte während eines frühern Feldzugs, um die Muße im Zelt und in den Winterquartieren angenehm zu benutzen, Unterricht auf der Flöte genommen. Eines Abends, als – 8 – er, beſchäftigt mit militairiſchen Zeichnungen, wider ſeine Gewohnheit nicht ausgegangen war, hörte er leiſe Harfentöne zu ſich heraufklingen, und öfnete lauſchend das Fenſter. Er konnte leicht auf die Harfenſpielerin rathen, und ſeine Vermuthung ward zur Gewißheit, als nach einigen ſchwermüthigen Phantaſieen die leichtere, kindlich tändelnde Melodie eines Volksliedchens ertönte, und eine ſchmelzende Silberſtimme ſich damit verband. Juranitzſch hatte das Lied oft gehört, aber erſt jetzt ſchien es ihm nicht ganz ohne Werth; er ſpannte alle Gehörnerven an, um keins der Worte zu verlieren. Stephanie ſang, bald mit lauterer, bald mit leiſerer, etwas beängſtigter Stimme:

Der Knappe ging, Der Knappe kam, Bis er mich fing, Das Herz mir nahm. Der Vater ſprach: „Verlaß mein Kind, Daß es nicht Schmach Und Jammer find'.“ *. Er bat ſo ſüß, Er trotzt ſo kühn; Der Vater ließ Ihn zu uns zieh'n. Die Schwalben floh'n, Der Winter kam; Er hieß uns Sohn Und Bräutigam. Sein Helm und Schwerdt Hing an der Wand; Sein ſcharrend Pferd Am Kripplein ſtand. - Oft ſaßen wir Bei düſterm Licht Vertraulich hier, Und merkten's nicht. Lieb Mutter tief Nickt hinterm Heerd; Rothkehlchen ſchlief Auf Helm und Schwerdt. Rothkehlchen pfiff Beim Morgenkuß Von Schwerdtesgriff Uns ſeinen Gruß. - Die Trommel klang; Die Thräne floß; Er ſchied, und ſprang Aufs wilde Roß.

Rothkehlchen irrt Bei Dämmerlicht, Und ſucht und ſchwirrt Und findet nicht. Findſt keine Ruh, Rothfehlchen klein? Hätt' ich, wie du, Zwei Flügelein!

2.

Stephanie, ob ſie ſchon nur an ihrer Mutter eine Zuhörerin zu haben glaubte, konnte den Geſang vor innrer Glut, die mit Schaam nahe verwandt war, kaum beendigen; bei den letzten drei Verſen erhob ſich ihre Stimme, und verlor ſich bald unter tiefen Athemzügen in einen ſehnſüchtig dahin ſterbenden Hauch. Selbſt die Mutter bemerkte etwas Ungewöhnliches an ihr, und bat ſie, ſich nicht allzuſehr anzuſtrengen; ihre Hand zittre ja; ihr Geſicht glühe wie Feuer! Stephanie, ein wenig betrofſen, ſchob dieß auf den Widerſchein des Abendroths, ſpielte, um die Mutter vom Gegentheil zu überzeugen, einen raſchen, lärmenden Marſch, nnd ſchloß dann mit der Melodie eines ſanften, ſtillfeierlichen Abendlieds.

Juranitzſch lauſchte noch immer, als die reizende Sängerin längſt geendigt hatte. Unruhig, ſtürmiſch, ging er einigemal auf und ab. Seine Flöte war, ohne daß er es ſelbſt wußte, in ſeiner Hand, an ſeinen Lippen. Er lehnte ſich wieder ins Fenſter, und wiederholte die letzte Melodie, wie ein leiſes Echo. Stephanie, tödlich erſchrocken, ſprang auf, und ſchloß heftig das Fenſter.

Jetzt kam das Herzklopfen auch an Juranizſch; er erſchrack über ſeine Kühnheit, und machte ſich, mit ſich ſelbſt höchſt unzufrieden, die bitterſten Vorwürfe. Doch geſchehen, war geſchehen, und die Strafe konnte nicht ausbleiben. So viele Abende nun Juranitzſch zu Hauſe blieb; ſo leiſe er horchte, ob ſich nie das Fenſter wieder öffne, nie die Harfe wieder geſtimmt werde; kein Fenſterrahmen, keine Saite wollte ſich rühren.

So dauerte es faſt eine Woche, Doch am Schluſſe derſelben – wer kann wiſſen, ob die Mutter es verlangte und die Tochter gehorchen mußte, oder ob Stephaniens Schreck und Zorn durch die Länge der Zeit etwas gemildert worden war? – genug! Stephaniens Muſik Uebungen, wiewol mit ſtrenger Verbannung des armen Rothkehlchens, gingen von neuem an. Der höchlich erfreute Rittmeiſter ſtand die beiden erſten Male wie eine Bildſäule auf ſeinem Poſten; als aber am dritten Abende die Harfe immer wieder und wieder tönte, und die Töne, allzu einladend und lockend, ſich, gleich Morgennebeln an einer beſonnten Bergwand, bald auf die höchſte Höhe wirbelnd erhoben, bald in die tiefſte Tiefe hinabſenkten; als ſogar die ſo lang erſehnte Mädchenſtimme hell und muthig ſich wieder vernehmen ließ; da erwachte in der Bildſäule gar bald Lebenswärme und Muth, und die beſtaubte Flöte wurde hervorgeſucht.

Dießmal blieb das Fenſter auch offen. Man machte zwar, als ein Satz geendigt war, eine Pauſe; aber man füllte die Pauſe mit Stimmung der Harfe aus, und ließ ſich nun ferner durch die unverlangte Flötenbegleitung, die man eigentlich gar nicht hörte, nicht im mindeſten ſtören. Faſt an jedem der folgenden Abende gab es nun richtig ein Harfen- und Flöten - Concert, und zwar in ſofern ein recht feenartiges, daß keins der Spielenden das andre ſah. Doch war auch dieſe Unſichtbarkeit glücklicherweiſe kein Hinderniß, daß ſich die Spielenden nach und nach recht gut mit einander einrichteten; Muſik und Geſang, Solo's und Duetts, wechſelten bald auf das mannigfaltigſte ab, und – wer ſollte es glauben? – manches klang wol gar wie ſanfte Frage und Bitte, und wie ſchüchterne Antwort.

Jede Einförmigkeit ermüdet, und Waffenruhe iſt peinlich für den feurigen Krieger. Einſt als Juranitzſch durch ein Ohngefähr der Wittwe - auf dem Vorſaal begegnete, hielt er es für unerläßliche Pflicht, ſeine muſikaliſche Verwegenheit höflichſt zu entſchuldigen. Die brave Dame, vormals ſelbſt an einen Officier verheirathet, fand ſich durch dieſe Artigkeit ſehr geſchmeichelt, und ließ ſo wenig von Unwillen oder mütterlicher Strenge an ſich ſpüren, daß ſie vielmehr ſelbſt darauf fiel, eine gemein ſchaftliche Abendmuſik in Vorſchlag zu bringen, und in dieſer Abſicht den Rittmeiſter auf bevorſtehenden Nachmittag zu ſich einlud.

 3.

Es würde zu weit führen, wenn wir alle die ſeligen Augenblicke ſchildern wollten, in welchen nun die edelſte, zärtlichſte Zuneigung ſich furchtſam einander näherte, und bald, mit Ueberſehung aller Bedenklichkeiten, feurig gegen einander erklärte. Der wackere Juranitzſch hatte in kurzem das Herz der Mutter und Tochter nicht nur beſtürmt, ſondern auch erobert; man nahm bald allgemein die Verlobung zwiſchen Stephanien und Juranitzſch für eine bekannte Sache an; alle Offickere der Beſatzung wünſchten ihm mit der herzlichſten Theilnahme dazu Glück; nur der Commandant Serin, deſſen ſtrenge Grundſätze der Rittmeiſter kannte und fürchtete, beobachtete gegen ihn ein unverbrüchliches Stillſchweigen, und äußerte nur gelegentlich gegen ſeine Söhne: er kenne Juranitzſch zu gut, als eine ſolche Unbeſonnenheit von ihm zu glauben.

Juranitzſch, dem Thaddäus und Cyrill dieß hinterbrachten, ward hierüber nicht wenig betroffen, und in ſeiner längſt gehegten Bangigkeit noch mehr beſtärkt. Gern hätte er ſein ganzes volles Herz dem edlen Befehlshaber und väterlichen Freunde entdeckt; allein dieſer ſchien jeder Gelegenheit zu einer Erklärung ſchon von weitem auszuweichen, und Juranitzſch wagte es vor der Hand nicht, dieſen ſtillſchweigenden Zeichen einer Mißbilligung ſich entgegen zu ſtellen.

Während dieſer Zwiſchenzeit ward die ſchon bejahrte Wittwe von einer Krankheit befallen; ſie legte ſterbend Juranitzſch's und Stephaniens Hand in einander, und beide ſahen nach ihrem Tode die Nothwendigkeit ein, ſich entweder auf einige Zeit zu trennen, oder ihre Liebe durch das Band des Sacraments auch vor menſchlichen Augen zu heiligen.

Schon der Gedanke an die Möglichkeit einer Entfernung von Stephanien brachte den feurig liebenden und ein wenig zur Eiferſucht geneigten Juranitzſch faſt zur Verzweiflung; er konnte ſich um keinen Preis in der Welt dazu entſchließen, den Beſitz der Geliebten einer ungewiſſen Zukunft anheimzuſtellen, und beſtürmte das liebende Mädchen ſo dringend mit den feurigſten Bitten ünd Beſchwörungen, daß ſie endlich einwilligte, ihm, ſobald es der Anſtand erlaube, ihre Hand zu reichen.

Nun ſtand ſeinen Wünſchen nichts entgegen, als die noch ermangelnde Erlaubniß vom Grafen Serin, und obſchon deſſen Söhne ihm aufs neue wenig Erfolg verſprachen, ſo faßte er doch endlich Muth, den ehrwürdigen Greis darum zu erſuchen.

Allein hier traf er auf einen Felſen. Graf Nicolaus ſchien verwundert, hörte ihn aber gelaſſen an. Doch nun ſtellte er ihm mit männlicher Feſtigkeit alle Gründe auf, warum überhaupt ein Kriegsmann, und vorzüglich bei den jetzt über das Vaterland einbrechenden Stürmen, ſich nicht an ein Weib feſſeln, und ein ſchwaches, hülfloſes, aus zärtlicher Leidenſchaft jede Gefahr vergeſſendes Weſen nicht in ſein zweifelhaftes Schickſal verflechten dürfe. Zuletzt, da Juranitzſch Gegengründe vorzubringen wagte, verweigerte ihm Serin ſeine Einwilligung geradezu.

Juranitzſch bot nochmals Vorſtellungen und Bitten auf, den Grafen zu einem andern Entſchluſſe zu bewegen; aber Serin blieb unerſchütterlich. Je dringender und hitziger der Jüngling wurde, deſto gelaſſener und kälter antwortete der Greis; und als Juranitzſch in der heftigſten Aufwallung endlich betheuerte, von ſeinem Geſuch auf keine Weiſe zurücktreten zu wollen und zu können; da wandte ihm Serin den Rücken, und ſprach: „Ich habe mich geirrt in Euch, Rittmeiſter Juranitzſch! Gut denn ! ich geb' Euch meine Erlaubniß als Euer General; als Euer Vater, wie Ihr zuweilen mich zu nennen beliebtet, würd' ich es nie!“

So trennten ſie ſich von einander, beide nicht ohne Groll. Juranitzſch beſchleunigte ſeine Vermählung, ſo viel es die Umſtände erlaubten; er lud die meiſten Officiere der Beſazung und die Vornehmſten der Stadt, vor allen andern aber – denn bald war Reue und Pflichtgefühl an die Stelle der aufbrauſenden Jugendhitze getreten – durch einen, faſt flehentlichen Brief, den Gouverneur.

 4.

Nicolaus Serin, nicht ſowol aus fortdauernder Erbitterung gegen Juranitzſch, als aus Beharrlichkeit bei einmal gefaßten Entſchlüſſen, die jetzt leider! durch kürzlich einge gangene Nachrichten noch mehr Gewicht erhielt - ten, ward bei der Mittagstafel vergeblicher wartet. Schon dämmerte die Nacht; ſchon er klangen die Inſtrumente, um das Hochzeitfeſt mit Tanz und lautem Jubel zu beſchließen, da wandelte er nach ſeiner Gewohnheit auf einem Walle der Bruſtwehr, den hohe Ahornen be ſchatteten.

Die Erinnerung an Juranitzſch's Widerſetzlichkeit erwachte auf Augenblicke in ihm. Doch bald drängte ſich die Gefahr des Vaterlandes und des heiligen Glaubens, welche er jetzt in dunkler Vorſtellung mit ſchnellen Schritten herannahen ſah, Serins Herzen näher; er ſah ernſten, faſt wehmüthigen Blicks in die weite Gegend.

Langſam bewegte der Wind die rauſchen? den Zweige; ihre langen Schatten ſchwebten an der Baſtion auf und ab; ein ſchwarzes Gewitter, vom Widerſchein der untergegangenen Sonne mit Gluten geſäumt, zog blitzend und donnernd am Rande des Horizontes dahin; lange ſtand der Mond hinter düſter grauen Wolken; endlich zerſtreute er ſie, und trat blendend hervor.

 „Ja, auf Feuerwolken zieht er heran, jener blutige Mond“ – ſagte Serin ahnend mit tiefer Stimme – „und ein freundliches Geſtirn nach dem andern wird an meiner Seiste erbleichen!

In dieſem Augenblicke raſchelte es in einem nahen Gebüſch, und, wen er an dieſem Abende unter allen Menſchen am wenigſten hter erwartet hätte, Juranitzſch, trat ihm entgegen.

„Ich erſtaune, Euch hier zu ſeh'n, Rittmeiſter Juränitzſch!“ – rief er ihm zu.

„Es iſt meine Pflicht, die Wachen zu viſitiren, Herr General!“ – antwortete dieſer mit Unterwürfigkeit.

Serin. Doch hättet Ihr mir die Unannehmlichkeit erſparen ſollen, mich an meine

Unachtſamkeit zu erinnern. Jeder Eurer Kameraden würde heute Euch gern dieſes Dienſts überhoben haben.  Juranitzſch trat näher. „Ich weiß ja“– fing er mit weicher, faſt bittender Stimme wieder an – „daß Ihr täglich am Abend hier luſtwandelt, und –– werdet Ihr ewig auf mich zürnen?“

Graf Serin wollte ihm jetzt keine Vorwürfe mehr machen, doch eben ſo wenig wider ſeine Ueberzeugung ſprechen. Ehe er etwas erwiderte, ſtürzte das liebenswürdigſte weibliche Weſen, ſtürzte Stephanie, zu ſeinen Füßen. „Schenkt meinem Gemahl Eure Zuneigung wieder, Herr General!“ – flehte die Liebliche mit den ſüßeſten Tönen – „Gebt uns Euren Segen, mein Vater!“

Serin, der Unerſchütterliche, war außer Faſſung. . Die knieende, ſanft ſchmeichelnde, unit kindlicher Zuverſicht ihre Hände zu ihm erhebende Schöne erweckte in dem Gemüth des ſiebzigjährigen Soldaten alle Artigkeit des Jünglings, alle Ehrerbietung, die der Rittergeiſt alter Zeiten jedem Edlen zur Pflicht machte; ihre ſchlanke, von dem ſilberſtoffmen Gewand in reichen Falten umfloſſene Geſtalt, die von milden Schimmer des Monds, wie von einer Glorie, umgeben ward; ihr reines Antlitz, nur mit dem wallenden braunen Haar und der bräutlichen Krone geſchmückt, vernichtete augen blicklich jeden niedrigen Verdacht, den das: „Nicht zurücktreten können“ des ſtarrſinnigen Juranitzſch in ſeiner Seele erweckt hatte; er konnte dieſem Zauber der Unſchuld und Liebenswürdigkeit nicht widerſtehen, und doch auch den Unmuth gegen die, nach ſeiner Meinung ſehr unzeitige Vermählung nicht ganz unterdrücken.

„Nicht das, nicht das, liebes Kind!“ - rief er haſtig und verlegen – „Stchet auf, edles Fräulein, ich beſchwöre Euch, – Ich haſſe Juranitzſch ja nicht; ſondern – eben, weil ich ihn liebe, weil ich es nicht zugeben kann, daß ein ſo holdes, freundliches Geſchöpf unglücklich werde –“

Man ließ ihn nicht ausreden. – „Sollen wir mitknieen, beſter Vater?“ – riefen Thaddäus und Cyrill, gleichfalls aus dem Hinterhalte hervorbrechend, und ſchlangen mit ſchönem Feuer ihre Arme um ihn – „Verſöhnung mit Juranitzſch, unſerm Freund, unſerm Bruder!“

„Nicht knieen, niemand knieen!“ – unterbrach ſie der bewegte Alte – „Geht, meine wackern Söhne! geht – was wollt ihr? Wollt ihr mit anſehen, daß Nicolaus Serin von zwei ſchönen Augen beſiegt wird? – Geht, geht mir vom Halſe – dieſe Fürbitterin bedarf eurer Hülfe nicht!“

Er ſchloß verſöhnt Juranitzſch und Stephanien in ſeine Arme; er ſah traulich der Braut ins Geſicht, und ſagte nichts weiter, als: „Mit keinem den Vortanz, als mit Nicolaus Serin – nicht wahr, ſchöne Braut?“

 5.

Nun erſt war die Freude Juranitzſch's und ſeiner Freunde vollkommen; alle faßten Sevins Hände, um ſie findlich zu küſſen; doch er ſtieß die Männer faſt ungeſtüm von ſich, küßte Stephanien auf die Stirn, legte ſie dann in des Rittmeiſters Arme, und winkte ihnen, ſich zu entfernen,

Man gehorchte augenblicklich. Die ganze Geſellſchaft warf ſich, indeſ der Gouverneur tiefer in die Schatten der Bäume ging, in die wartenden Wagen, und gelangte durch eine Hinterthür ſchnell zu den Gäſten zurück. Man hatte das reizende Brautpaar, zwar vermißt, doch eine ganz andere Urſache ſeiner Entfernung vermuthet, als einen Beſuch auf dem Feſtungswall.

Mit frohem Jubel wurden die Eintretenden empfangen, mit um ſo froherem, weil die jungen Krieger nebſt ihren feurigen Schönen den Anfang des Balls ſchon längſt ungedultig erwartet, und dieſe Zögerung im Herzen verwünſcht hatten. Doch noch immer machte man keine Anſtalt dazu, und niemand konnte die Urſache errathen. . “

Endlich wurde es licht auf den Straßen; heller Fackelſchein lockte an die Fenſter, und der Commandant kam, von Pagen und Läufern begleitet, auf ſeinem köſtlich geſchmückten Leibroſe, Peruani genannt, angeritten. Alles ward ſtill; die Flügelthüren öffneten ſich; Graf Nicolaus, in der reichſten Ehrenkleidung, in welcher er ſonſt nur bei dem feierlichſten Gepränge zu erſcheinen pflegte, begrüßte die Verſammlung, ergriff die Hand der hoch erröthenden Braut, und führte den vaterländiſchen - Hochzeitreigen mit ihr auf. Niemand wagte es, ſeinem Beiſpiele zu folgen. Alle Anweſens de, von der Würde des freundlichen Greiſes, von der kindlichen Achtung der ſich aufs höchſte geehrt gefühlenden Braut, ſanft : bezaubert, ſchloſſen einen Kreis, und als die Tanzenden abtraten, erſchol in das Geſchmetter der Musſik ein lauter, allgemeiner Ruf: Es lebe unſer Vater, unſer edler Gouverneur! Es lebe die Krone der Ungarſchen Mädchen!

Serin übergab Stephanien mit einem Glückwunſche dem tief gerührten Bräutigam, äußerte den Wunſch, ihn mit ſeiner jungen Gemahlin morgen bei ſich zu ſehen, miſchte ſich dann unter die übrige Geſellſchaft, und entfernte ſich unbemerkt. Ob ? und wie bald? das junge Brautpaar ein gleiches that, davon ſchweigen unſere Urkunden.

 6.

Stephanie, nicht wenig dadurch geſchmeichelt, den heißeſten Wunſch ihres Geliebten in Erfüllung gebracht, und den Zorn des treffli chen Greiſes beſänftigt zu haben, war am folgenden Morgen ſehr ernſtlich geſonnen, ihren Sieg über Serin noch weiter zu verfolgen. Das vormalige Verhältniß zwiſchen ihm und Juranitzſch mußte ganz wieder hergeſtellt, ſie ſelbſt mußte in den ſchönen Bund gewiſſermaaßen mit aufgenommen werden; dieſer Zweck ſtand lebendig vor ihrem heitern Geiſte; denn nur dann konnte ſie ihren Gemahl wieder ganz ruhig und glücklich glauben.

Als daher das neue Ehepaar den verlangten Ehrenbeſuch abſtattete, erſchien die reizende junge Frau nicht in weiblichem Schmuck, ſondern, gleich einer muthigen Amazone, in den Regimentsfarben ihres Mannes.

„Ihr habt Arges mit mir im Sinn!“ – redete Serin ſie lächelnd an – „Schon zum zweitenmal wollt Ihr mich überliſten; aber dießmal ſoll's Euch nicht wieder gelingen!“

Stephanie bot nun alle, ihr zu Gebot ſtehende weibliche Schlauheit, alle, ihr verliehene ſanfte Beredſamkeit auf, um, dem Anſcheine nach, die geſtrige Zudringlichkeit auf dem einſamen Abendſpaziergange zu entſchuldigen, in der That aber, den Gouverneur zu überzeugen, wie unerträglich ihrem lieben Juranitzſch der Unwille ſeines erhabenen Freundes, wie bekümmert und unruhig ſie ſelbſt geweſen ſey, ſich als die ſchuldloſe Urſache dieſer Mißhelligkeit anklas gen zu müſſen. Sie ſchloß mit der ſcherzhaftten Verſicherung, daß ſie nun für immer unter Serins Fahnen ſtehe, und feſt entſchloſſen ſey, einem ſolchen Feldherrn Ehre zu machen.

Der General, ſchon ſeit langer Zeit alles weiblichen Umgangs entwohnt, blickte ſie mit freundlichem Kopfſchütteln, doch im Innern tief bewegt, einige Augenblicke ſchweigend an. Dann überreichte er ihr ein Käſtchen von Ebenholz mit goldnem Beſchläge.

„Wie dem auch ſey,“ – ſo ſagte er, und man merkte es ihm wol an, daß er heiterer ſcheinen wollte, als er war – „ſo laſſe ich mich heute von dieſem glatten Munde, von dieſen ſieggewohnten Augen, nicht wieder aus dem Felde ſchlagen. Vergebt, daß ich ein we nig ſpät komme mit dieſer väterlichen Ausſtattung; in der That – dieß noch, und dann kein Wort weiter, wackerer Rittmeiſter! -- die Hochzeit kam mir ein wenig zur unrechten Zeit! Nehmt denn dieß gern von mir an, edle Stephanie! – es war einſt das Eigenthum meiner Thereſe Bathyani (Serins früh verſtorbene Tochter war mit Baltha ſar Bathyani vermählt geweſen.), und ich werde keine Tochter mehr ausſtatten, – nehmt dieß und noch etwas, das Zuneigung für Euch, das väterliche Theilnahme mir abdrang – “

Stephanie öfnete das Futteral; die köſtlichſten Perlen und Juwelen blitzten ihr entgegen; doch griff ſie zuerſt nach einer dabeiliegen den, zuſammen gefalteten Schrift.

„Habe ich das verlangt?“ – wandte ſie ſich erſtaunend, und nicht ohne Vorwurf, an ihren Gemahl, ſobald ſie einige Zeilen geleſen hatte.

Juranitzſch ergriff das Pergament, und ſah hinein. Alle Farbe wich aus ſeinem Geſicht; ſeine Hand bebte, ſeine Augen funkelten, ſeine Lippen zuckten. Es war ſein Abſchied mit dem Range als Oberſter.

 „Herr General! Herr General!“ – rief er, bleich und ſtammelnd vor Zorn – „Es war Eurer grauen Haare unwürdig, ſo arglisſtig mit mir zu ſpielen. Aber wol – wol! ich nehme den Abſchied an, obſchon nur mein König ihn mir geben ſollte, und nun“ – er ſchlug drohend an den Säbel – „nun, Graf Serin! ſind wir Beide Ungarſche Ritter. Nur Blut wäſcht dieſen Flecken von meinem Namen!“

„Jeſus Maria!“ – unterbrach ihn Stephanie, und fiel ihm aufs heftigſte erſchrocken in den Arm.

„Ruhig, ruhig, junger Mann!“ – erwiderte Graf Serin mit Würde – „Alles, was hier vorging, geſchah ohne Zeugen, und ich ſchwör' Euch bei allen Heiligen des Himmels, daß kein Gedanke in meine Seele kam, Eure Ehre zu kränken! Nicht als General und Magnat, als Menſch, Freund und Vater, ſpreche ich jetzt mit Euch Beiden.“

Juranitzſch, von Stephanien mit Umarmungen und Thränen beſtürmt, durch das Bekenntniß des Grafen entwaffnet, ſammelte ſeine Beſinnung. „Ich bin bereit Euch anzuhören.“ – ſagte er mit möglichſter Gelaſſenheit, ſtützte die Linke auf den Säbel, und umſchlang mit der Rechten ſein Weib – „Sagt denn, was Ihr mir zu ſagen habt; ſagt es als ein Vater, den die Ehre ſeines Sohnes, dem die Ehre des Gemahls einer Stephanie, theuer iſt!“

„Als ich Euch die Einwilligung zu Eurer Vermählung abſchlug“ – hub der Graf an – „war der Grund dieſer Weigerung nicht Abneigung gegen Eure Verlobte, die ich nur dem Namen nach kannte, ſondern überhaupt Abneigung gegen die Heirath eines jungen, von mir geachteten Kriegers. Mir ſelbſt ward einſt ein treffliches Weib zu Theit; ich war Vater von geliebten Kindern; mir könnt Ihr glauben, wenn ich den Kampf im Herzen des verheiratheten Soldaten ſchwer nenne; wenn ich ſein Weib unter die Bedauernswürdigſten zähle auf Erden. Verlaßt daher eiligſt dieſe Feſtung, dieſe Vormauer gegen den Erbfeind unſers Volks, deren Vertheidigung der Kaiſer nicht ohne Urſache den greiſen Serin übertrug, und begebt Euch auf eins meiner Güther, oder wohin ſonſt Euch beliebt! Ungern verliere ich Juranitzſch, auf den ich unter andern Umſtänden ſehr gezählt hätte; – aber – glaubt mir, meine Kinder, hier iſt kein Roſengarten für junge Vermählte! – glaubt mir, und folgt Euerm beſorgten Vater!“

„Dem Vater iſt die Ehre ſeines Sohns heilig!“ – ſprach unerſchüttert Juranitzſch, und legte die Schrift auf den Nebentiſch.

„Ich dachte an die Zukunft ſchon damals, als ich Juranitzſch mein Herz gab!“ – ſetzte Stephanie mit gleicher Feſtigkeit hinzu – „Seine Ehre iſt die meinige!“

„Wißt denn alles!“ – fuhr Serin fort – „Es iſt nicht mehr ein unverbürgtes Gerücht, keine leere Furcht vor einer ungewiß drohenden Zukunft! Einer furchtbaren Wetterwolke gleich, iſt Solyman, der Schreckliche, mit ſeiner Kriegsſchaar im Anzuge! Er, der unverſöhnliche Feind unſers heiligen Glaubens, er der Barbar, der ſeine eigenen tapfern Prinzen (Muſtapha und Bajazeth, und des letzterm vier Söhne.)  erwürgte, kann die Schmach nie vergeſſen, die ihm einſt bei Sigeth widerfuhr; und mir hat der Kaiſer geſchrieben, daß er ſich auf Nicolaus Serin verlaſſe. Wißt ihr, was ich damit ſage?“

Juranitzſch hatte nur mit Mühe bis zu Ende gehört. Jetzt riß er, von der nahen Gefahr nicht erſchüttert, nur höher begeiſtert, ſeinen Säbel aus der Scheide, und rief „Fluch und Schande ewig meinem Namen, wenn ich jetzt Euch verlaſſe! Juranitzſch mit Serin, und wenn die Hölle ſich anfthut!“

Stephaniens Auge, von ſchönem Feuer entzündet, weilte wonnetrunken auf dem Ge liebten. „Ich bin eine Ungarin“ – rief ſie glühend und zerriß das Patent - „mein Vater diente unter Valentin Eming;[1]  ich gelobte Juranitzſch Treue und Anhänglichkeit bis in den Tod, und unverbrüchlich iſt mir dieß Gelübd!“

Der Gouverneur reichte beiden ſchweigend die Hand, und beſchied dann Juranitzſch in den Kriegsrath.

 7.

Nicht zu nahe hatte Serin die Gefahr den Liebenden geſchildert. Schon Tags drauf beſtätigte ſich die an Stephaniens Hochzeittage dem Gouverneur zugekommene Kundſchaft, daß des Sultans Heer unfern Sicklos ſtehe, und ſein Lager ſich über zwei Meilen erſtrecke. Der Commandant von Sigeth und ſeine tapfern Officiere warteten es nicht ab, bis man ſie einſchlöſſe; tauſend Mann zu Fuß, und fünfhundert Reuter, von dem Obriſten Adriani angeführt, eilten dem Feinde einige Tagereiſen entgegen; Juranitzſch und die beiden jungen - Grafen Serin führten den Vortrab.

In dem Gemüth Stephaniens hatte der Umgang mit ihrem Bräutigam manchen, vorher ſchlummernden Funken geweckt; das glühende Ehrgefühl des Gemahls, das kriegeriſche Getümmel, das faſt unmittelbar mit den hochzeitlichen Tänzen abwechſelte, die Nähe, in welche ſie ſich nun um den ehrwürdigen Helden Serin verſetzt ſah, fachten dieſe Funken zur hellen Flamme an, und erfüllten ſie mit einer ſo männlichen Kraft, daß ſie bei dieſer erſten Trennung von dem Geliebten ſich völlig aufrecht erhielt. Sie ſagte es ſich ſelbſt, daß ſie ſich an ſo etwas gewöhnen müſſe; ſie fühlte es, daß es ſchön ſey, daß es Männern gezieme, für Vaterland, Glauben, Freiheit und Ehre das Leben gering zu ſchätzen; ihr Gemahl ward ihr um ſo theurer, ſie ſelbſt hielt ſich um ſo höher von ihm geachtet, weil er ihr die Nachricht von dem Ausmarſch ohne Vorbereitung angekündigt hatte. Weit entfernt, ihm durch weibiſche Klagen den Abſchied zu erſchweren, reichte ſie ihm ſelbſt die Waffen, war ſie es ſelbſt, die ihm zärtlichlächelnd zurief: „Die Roſſe wiehern und ſtampfen ungeduldig den Boden; deine Kriegsgefährten warten dein; geh' denn, mein wackerer Freund!“ - Selbſt als er zu Pferde ſtieg und die Trompete das Zeichen gab, blieb ſie ſtandhaft am Fenſter, und winkte ihm freundlich, bis er aus ihren Augen verſchwand.

Doch nun, als allmählig der Klang der Trompete ſich dumpf in der Ferne verlor; als in banger Erwartung, leiſe flüſternd, ein Einwohner nach dem andern in ſein Haus ſchlich, und bald eine bängliche Stille weit umher herrſchte; da verſagten ihr die Kniee länger den Dienſt; ſie ſank auf ein Ruhebett nieder, auf dem ſie ſo oft, den Geliebten umarmend, geſeſſen hatte, und vergoß einen Strom von Thränen. Baldermannte ſie ſich, verrichtete vor dem Marienbilde ihr Gebet, und eilte dann, um ſich zu vergeſſen, zu ihren gewöhnlichen weiblichen Beſchäftigungen.

Einige Tage, für die beſorgte Liebe eine Ewigkeit, vergingen, ohne daß Stephanie es wagte, aus dem Hauſe zu gehen, oder nur am Fenſter zu verweilen. Am fünften Tage entſtand auf den Straßen ein Getümmel; Stimmen wurden laut; ſchwankend zwiſchen Tod und Leben, trat ſie bebend ans Fenſter, und undeutlich erſt, dann lauter und jubelnder, ertönte der Ruf: „Sieg! Sieg! Sie kommen, ſie kommen! Sie kehren mit Sieg und Beute zurück!“

Jetzt vermochte Stephanie nicht länger, die Einſamkeit zu ertragen. Von einigen Die nern begleitet, eilte ſie zum Gouverneur, wo ſchon mehrere Vornehme der Stadt ſich verſammelt hatten.

„Ich ſollte mit Euch zürnen, edle Frau“ – redete der Greis ſie liebreich an – „daß Ihr nur die Freude, nicht auch die Sorge, mit mir theilen wolltet. Rittmeiſter Juranizſch hat ſich nicht gehalten, wie der Gemahl eines ſo reizenden, tugendreichen Weibes!“ „Aber doch wie ein Ungar unter Serin?“ – fragte ſie, durch den Doppelſinn dieſer Anrede erſchüttert.

„Geduld, liebe Stephanie !“ – verſetzte der Gouverneur. – „Die Wache ruft ins Gewehr, die Trompete ſchmettert ſchon von dort unten herauf!“

Die ganze Verſammlung drängte ſich an die Fenſter und auf den Altan der Burg. Thaddäus Serin führte die Fußvölker, Juranitzſch die Reuterei. Ein Roßſchweif, eine kleine Türkiſche Fahne, einige Geſangene, wurden unter Bedeckung gebracht; Wagen, mit Türkiſcher Beute beladen, ſchloſſen ſich an.

„Wo iſt Obriſt Adriani?“ – fragte der Gouverneur, den Zug muſternd, ſeinen Thaddäus.

„Im Andreaskloſter unterm Altar!“ – antwortete dieſer ernſt, und zog vorüber.

Graf Serin fuhr mit der Hand über Stirn und Augen. „Dieſer alſo der Erſte von uns?“ – ſprach er leiſe, den alten Waffengefährten ehrend.

„Wer bringt dieſes grüne Fähnlein?“ – wandte er ſich dann an den Anführer der Bedeckung.

„Euer Sohn, der wackere Cyrill!“ „Brav! – und den Roßſchweif?“ „Rittmeiſter Juranitzſch – unſer Rittmeiſter!“ – ſcholl es von mehrern Seiten. – „Nur ihm wollte Muſtapha Vilith ſich ergeben!“

„Habt Ihr gehört?“ – ſagte Serin zu der erglühenden Stephanie – „Habt Ihr ge hört, Frau Obriſtin, daß Ihr meinen Pergannenten doch nicht entgehen könnt?“

Die Thüren öffneten ſich; die Officiere, unter ihnen Juranitzſch, ſtürzten herein und wurden von allen Anweſenden mit lautem Jubel begrüßt; nur Stephanie lag ſtumm vor Entzücken in den Armen des Geliebten.

 8.

Der auf das glücklichſte ausgeführte Ueber fall, die anſehnliche Beute, die eroberten Siegszeichen, gewährten nun wenigſtens auf die bevorſtehende Nacht den furchterfüllten Einwohnern Hoffnung und ruhigen Schlummer. Dahingegen ſahen die gefangenen Türken, unter dieſen der tapfere Muſtapha Vilith, nach der unmenſchlichen, damals eingerißnen Gewohnheit,[2] dem künftigen Morgen, als dem letzten, martervollſten ihres Lebens entgegen.

Doch Graf Serin, zu edel für die niedern Leidenſchaften der Rachſucht und des blinden Haſſes, hatte von Juranitzſch kaum die Umſtände, unter welchen ſich Muſtapha ergeben hatte, näher erkundet, und von deſſen muthi ger Vertheidigung gehört, als er beſchloß, ihm und ſeinen Begleitern, für welche freilich in der Feſtung kein Proviant zu entbehren war, ohne einiges Löſegeld die Freiheit zu ſchenken. Er wählte zu Ankündigung dieſer frohen Botſchaft denjenigen, welcher dieſe Belohnung vor allen andern verdiente; der Ueberwinder Muſtapha's ſollte auch ſein Befreier ſeyn.

Mit leuchtenden Augen kam bei Anbruch des Morgens Obriſt Juranitzſch zu Muſtapha ins Gefängniß, den von ihm erbeuteten Säbel und Dolch in der Hand, welche er, nun auch ſeiner Seits den tapfern Feind zu ehren, zurückzugeben entſchloſſen war. Doch Muſtapha, welcher den Umſtänden nach dieß ganz anders deutete, als es gemeynt war, glaubte nichts gewiſſer, als daß ſeine letzte Stunde herannahe, trat ihm daher finſter, doch feſten Schrittes, entgegen, und ſtreckte ſeinen Hals vor, um den Todesſtreich zu empfangen.

Juranitzſch ſuchte ihn von ſeinem Irrthum zu belehren; aber koſtete es ſchon nicht geringe Mühe, den Türken zu überzeugen, daß man nicht nach ſeinem Blut dürſte, ſo weigerte er ſich noch viel mehr, die koſtbaren Waffen aus der Hand des Siegers zurückzunehmen.

Er maß ſeinen großmüthigen Feind, der jetzt nur um ſo hartnäckiger darauf beſtand, eine Zeit lang mit durchdringenden Blicken; endlich, da aller Zweifel verſchwunden war, drückte er des Oberſten Hand mit männlicher Herzlichkeit, und nahm ſeinen Säbel, doch nur unter der Bedingung, daß jener den Dolch, in deſſen Knopf ein köſtlicher Rubin eingelaſſen war, zum Andenken ſeines Sieges behalte.

„Dieſen bewahre, großmüthiger Chriſt“ – ſagte er tief bewegt – „und erinnre dich meiner dabei, wenn ich vielleicht ſchon längſt dieſe Gefangenſchaft dennoch mit dem Tode gebüßt habe. Er war mir theuer, und ſei es Dir! Ich lebte ſeit Jahren in einer furchtbaren Nähe! – – Sollteſt Du einmal unſer Gefange ner werden, ſo könnt' er Dir frommen. Schwerlich möchteſt Du bei uns einen Erretter finden, wie ich hier, aber er kann es werden. Nicht blos ſeine Spitze bietet gewiſſen Tod, ſondern hier – ſieh! unter dieſem Rubin, iſt ein Gift verborgen, das ſchnell, wie ein Gedanke, die Gefangenen löſt!“

 9.

Unmöglich konnte die Freude über das erſte glückliche Ereigniß dieſes Krieges bei den Einwohnern Sigeths lange dauern. Es war vorauszuſehen, daß der, in Betracht der feindlichen Heeresmacht, immer ſehr unbedeutende Verluſt, weit gefehlt, Solyman wankend zu machen, ſeinen Zorn vielmehr um ſo heftiger reizen, ja bis zur Wnth anflammen werde, und was man befürchtete, ging nur zu bald in Erfüllung.

Kaum war die Nachricht von der erlittenen ſchimpflichen Niederlage bei Solyman in Griechiſch - Weißenburg angelangt, als er an Haſſan - Beg den Befehl erließ, bei Strafe, geſpießt zu werden, über die Drau eine Brücke zu ſchlagen. Ein ſolcher Befehl lehrte gehorchen; doch die Gewalt des Stroms ſpottete aller Anſtrengungen, und Haſſan - Beg ſah ſich in der ſchrecklichen Nothwendigkeit, dieß dem Sultan anzeigen zu laſſen. Solyman, deſſen weit umfaſſendem Geiſte von jeher weit ſchwierigere Entwürfe leicht gedünkt hatten[3], und der ſeinen Kriegsoberſten an Kenntniſſen und Erfahrung weit übertraf, ſchickte ihm ſtatt aller Antwort ein leinenes Tuch, auf deſſen Rande mit goldenen Buchſtaben ſich die Schrift befand: „Solyman ſendet dieß, mit dem Befehl, die Brücke ohne Verzug zu ſchlagen. Wenn ſie bei des Sultans Ankunft nicht fertig iſt, wird Haſſan-Beg am ufer mit dieſem Tuch ſtrangulirt.“

 Dieſe Drohung verfehlte nicht ihrer Wirkung. Haſſan-Beg ließ nun alle Einwohner der umliegenden Gegend, ohne Rückſicht des Alters und Standes, zur Arbeit anhalten; in einer, nach der Schwierigkeit des Unternehmens, faſt unglaublichen Geſchwindigkeit, in zehn Tagen, ſtand die Brücke vollendet. Doch ſoll ſelbſt dieſer Zeitraum dem Solyman zu lange geſchienen und Haſſan - Beg deſſen unge achtet ſein Leben verloren haben. ?

 Wie dem auch ſei, ſo iſt ſo viel gewiß, daß der, über jeden Verzug ungeduldige Solyman bei Mohätz, wo er vierzig Jahr früher über Ludwig, König von Ungarn und Böhmen, geſiegt hatte, in Fahrzeugen überſetzte, und dort ſeine, über die Brücke mar ſchirende Armee erwartete. Am fünften Auguſt langte das Türkiſche Heer unfern Sigeth bei St. Lorenz an, und in wenig Augenblicken ſah man alles mit feindlichen Gezelten weiß bedeckt.

Die Bekämpfung aller, ſelbſt von der Natur in den Weg gelegten Hinderniſſe, das ſchnelle Vordringen und die ungeheure Anzahl der Feinde, worunter ſich allein an hundert tauſend Reuter befunden haben ſollen, hätten um ſo leichter auch den Tapferſten mit Furcht erfüllen können, weil ſich in Sigeth, außer zweitauſend Einwohnern, nicht mehr, als höchſtens drittehalbtauſend Mann Beſatzung und ſechzig Kanonen befanden. Allein der unerſchrockene Serin, der ſich in Zeiten mit Proviant und Munition verſehen hatte, traf Anſtalten zur hartnäckigſten Gegenwehr. Auch er, zwar mit geringerer Macht, doch mit gleichem Muthe, machte die Natur ſich dienſt bar, und ließ, nicht damit zufrieden, ſeine Mauern mit einer drei und zwanzig Fuß breiten Bruſtwehr verſehen zu haben, auch den, vom Hügel herabſtürzenden Bach durch Ausgraben um ſeine Feſtungswerke leiten, ſo, daß Sigeth nun in der That von einem See umgeben ſchien.

Dann berief er alle Waffenfähige auf den Burgplatz, ermunterte ſie in einer trefflichen Anrede zur Tapferkeit, Treue und Ausdauer, ernannte im Fall, daß er bleiben ſollte, ſeinen Schweſterſohn, Caſpar Alepin, zum Commandanten, und verlangte zuletzt von der ganzen Verſammlung einen Eid, daß niemand an Uebergabe denken, ſondern jeder ſeinen Poſten bis zum letzten Athenzuge vertheidigen wolle.

Sein edles Feuer, ſeine ehrwürdige Geſtalt, erweckte in Soldaten und Bürgern eine hohe Begeiſterung; alle zogen, um zu ſchwören, unter lautem Zuruf die Schwerder; aber ſein Wink gebot Stillſchweigen, und er ſelbſt gelobte zuerſt mit lauter Stimme Gott, dem Kaiſer, ſeinem Vaterlande, und den tapfern Männern, die ihn umgaben, ſie zu keiner Zeit zu verlaſſen, alle Gefahren mit ihnen zu theilen, mit ihnen zu ſterben! Officiere, Soldaten und Bürger folgten mit Ungeduld ſeinem Beiſpiel; Ungarn theilte von dieſem Tage an mit Sparta den Ruhm, einen Leonidas unter ſeine Söhne zu zählen. "

 10.

Unter allen, die an dieſen kriegeriſchen Zurüſtungen, jeder nach Fähigkeit und Ordnung, Theil nahmen, ſchien Thaddäus Serin, der ältere Sohn des Commandanten, ganz wider ſeinen ſonſtigen Charakter, der ruhigſte, kälteſte, verſchloſſenſte. Doch bemerkte dieß nie: mand, als die holde Stephanie, die ſich ſeit einiger Zeit für immer in der Burg aufhielt, und jetzt, da faſt jeder einzelne unentbehrlich ſchien, nach und nach das Amt einer Provi antmeiſterin übernommen hatte.

Nur ihr, die bei dem glühendſten Wunſche, an dem kühnen Unternehmen der Männer auch irgend einen Antheil zu haben, bei dem eifrigſten Beſtreben, die, unter der Arbeit faſt erliegenden Kämpfer, bald durch Speiſe und Trank, bald durch Zuſprache oder ein freundliches Geſicht, zu erquicken, und aufzurichten, dennoch zu Zeiten nur eine Zuſchaue rin des ſie umgebenden großen Schauſpiels abgeben konnte, dünkte es ſonderbar, daß dieſer, ſonſt ſo unruhige Jüngling in den verhängnißvollen drei Tagen, ſeitdem Solyman die Stadt belagerte, nur dasjenige ausführte, was ihm befohlen ward, ſich aber ſonſt nicht im mindeſten zu irgend einem auszeichnenden Poſten drängte. Hätte ſie dem ſo innigen Freunde ihres Gemahls etwas Nachtheiliges zutrauen können, ſie hätte einen Feigen oder einen Verräther in ihm vermuthet.

Dennoch hielt ſie es für ihre Pflicht, den Gemahl auf dieß ſonderbare Betragen ſeines Freundes aufmerkſam zu machen. Da aber dieſer, obſchon ihrem Beobachtungsgeiſte ſonſt vertrauend, ſie dießmal eine, durch die nahe Gefahr erhitzte Träumerin ſchalt; ſo ſchlug auch ſie ſich dieſe Gedanken wieder aus dem Sinn. Auch wurde ſchon am dritten Tage nachher, am achten Auguſt, die Verwirrung in der Feſtung ſo groß, die Gefahr ſo drohend, und bald die Vorſorge für die Verwundeten ſo vielfach, daß ſie und Jeder nur an das Dringendſte, nur auf den Augenblick denken konnte.

Denn ſchon hatt der raſtloſe Solyman den Anfang der Beſchießung anbefohlen. Unter einem wilden Allah-Geſchrei, welches man von den Wällen mit dem Namen: Jeſus! .beantwortete, warde alles aufgeführte Türkiſche Geſchütz, worunter ſich Stücke von faſt ungeheurem Caliber[4] befanden, alle Gewehre der Janitſcharen und Aſapt's (Aſapi's, Schanzgräber.), auf einmal ab gebrannt. Man hörte den Knall, gleich einem gräßlichen Donnerſchlage, weit und breit, ja bis zu Can iſcha, und die ganze Gegend er ſchütterte, wie bei einem Erdbeben.

Nach dieſer ſchrecklichen Begrüßung wandte ſich der Feind vorzüglich gegen die Neuſtadt, welche Graf Serin, als unhaltbar, am neunten Auguſt in Brand zu ſtecken befahl. Zwei Tage ſpäter fingen die Türken an, die Gräben mit Sandſäcken und Faſchinen auszufüllen. Dieß gelang um ſo beſſer, weil einige derſels ben ohnedieß von der Sonnenhitze vertrocknet waren. Zehn Tage darauf ging, trotz des hartnäckigſten Widerſtands, auch die Altſtadt: mit Sturm über, und Serin konnte ſich, wenn gen der Uebermacht des Feindes, nur mit großem Verluſt in das eigentliche Caſtell zu rückziehen. Sein tapferes Häuflein war über die Hälfte geſchmolzen; die Einwohner, Weiber und Kinder wurden theils niedergehauen, theils hinweggeführt; faſt alle Pferde, die wegen Beſchränktheit des Raums nun ohnedieß unbrauchbar wurden, fielen den Türken in die Hände.

 11.

„War nicht Thaddäus hier?“ – fragte Juranitzſch ſeine Stephanie mit der heftigſten unruhe, als er in der Frühe des folgenden Tages, noch mit Staub und Blut beſudelt, und vor Durſt faſt verſchmachtet, auf einen Augenblick zu ihr eintrat.

„Schon ſeit fünf Stunden ſtand ich an dieſem Gitter;“ – antwortete ſie mit angenommener Stärke – „aber weder hier im Schloſſe, noch dort auf den Wällen, hab' ich ihn bemerkt.“

„So muß ich fort wieder augenblicklich“– erwiderte Juranitzſch. – „Schon ſeit geſtern Abend vermißt man ihn! – o Stephanie! meine Stephanie! in welchen Zeiten fanden wir uns!“

Er preßte ſie heftig, faſt verzweifelnd, an ſeine Bruſt und bedeckte ihre bleichen Wangen mit feurigen Küſſen; dann riß er ſich ſtürmiſch von ihr los, und eilte, ohne ſich gelabt zu haben, wieder hinweg.

Ein Officier kam von der Baſtei ihm entgegen. – „Hieher, Herr Obriſt!“ - rief er ihm zu. Juranitzſch gewahrte einen Haufen Türken, deren Anführer ſichres Geleit verlangte, in ihrer Mitte aber einen Heer-Trompeter, den er an Farbe und Schild ſogleich für einen Diener des Thaddäus erkannte. Erſchrocken, und jetzt ſchnell an dasjenige zurückdenkend, was ihm Stephanie über Thaddäus vertraut hatte, ließ er dieſen Vorfall dem Gouverneur melden; Serin erſchien ſelbſt auf dem Wall und rief dem Geſandten zu, ſein Anliegen kund zu thun.

„Alſo verkündet dem Nicolaus Serin“ +- fing der Türke ſeine Botſchaft an – „Sultan Solyman: Dein Sohn Thaddäus, eingedenk deſſen, was euch allen bevorſteht, hat ſich mir überliefert, und gern werd' ich dieſes klugen Jünglings ſchonen, wenn du mich nicht ſelbſt durch fernern Widerſtand zum Gegentheil zwingſt. So du alſo das Leben deines Sehnes friſten willſt, ſo eile alsbald, mir das Caſtell zu überliefern. Ganz Croatien ſoll dann dein Eigenthum, Sclavonien und Dalmatien dir zur Verwaltung übertragen, ſeyn. Weigerſt du dich aber noch länger der Webergabe, ſo ſiehſt du in wenig Augenblicken das Haupt deines Sohnes vor deinen Thoren aufgeſteckt!“

Graf Serin hatte gleich beim Eingang dieſer Anrede mit großer Bewegung auf Juranitzſch geſehen, und ihn durch einen Blick nach Thaddäus gefragt. Jetzt, da er dieß wiederholte, und jener ſchweigend zur Erde ſah, drang Todesſchauer an das Herz des Greiſes; - er wankte, ruhte einen Augenblick auf des Oberſten Achſel, und legte, voll tiefen Grams, die Hand auf das graue Haupt.

Doch ſchnell ormannte er ſich. – „Mein Sohn ein Verräther?“ – ſagte er zu den umſtehenden Officieren – „Nein!“

„Ihr ſollt mich nicht täuſchen!“ – rief er dann mit feſter Stimme dem Türken zu – „Serin hat keinen Ueberläufer zum Sohnc! Entfernt euch augenblicklich, oder ihr ſeid des Todes!“

Schon gab er Befehl, die nächſten Stücke zu richten; ſchon ward die Lunte gehoben – da öfnete ſich der Haufe, und Graf Thaddäus, - mit Ketten belaſtet, ward ſichtbar.

Schreck, Vatergefühl, Zorn und Wuth ſtürmten jetzt auf einmal auf Serins ungeſtüm klopfendes Herz; alle Muskeln zuckten; ſein Geſicht erbleichte, aber ſein Auge ſchleuderte Blitze; er ſchlug krampfhaft die Arme zuſamunen, wandte ſich ab, und commandirte mit dumpfen Tone: Feuer!

Es war das erſte, einzige Mal, daß Serins Befehl nicht befolgt ward. Hauptleute und Gemeine umringten ihn, und erhoben bittend Augen und Hände. Das Vatergefühl gewann wieder die Oberhand. – „O meine Freunde! ihr alle meine Kinder!“ – rief er aus – „thut denn, was euch gut dünkt, aber bedenkt, daß das Leben meines Sohnes nur mich, die geſchworne Treue uns alle angeht! Schont denn des Unwürdigen – aber – habt ihr Mitleid mit einem unglücklichen Vater, ſo haltet euch deſto tapferer, und rettet meinen Namen bei der Nachwelt – rächt meine Ehre!“ -

Mit wankenden Knieen begab er ſich wieder nach dem Schloſſe; die abgeſandten Türken hatten es nicht abgewartet, ob der zürnende ern ſeine Drohung erfüllen werde.

 12.

Man ſagt, daß bei mehrern Wunden der Schmerz ſich zertheile, und der Verwundete nur zuweilen, bald hie, bald da, den höchſten Grad deſſelben empfinde; ſo wurde auch bei Graf Serin eine Zeitlang der Gedanke an die verzweifelte Lage, in welche er ſich und ſeine tapfern Waffenbrüder verſetzt ſah, von dem Gedanken an die Verrätherei ſeines Sohnes, an die Schande, welche dieſe treuloſe That auf den Namen Serin bringen werde, gänzlich verdrängt. Der tapfere Greis, deſſen Muth bis jetzt durch keinen Unfall gebeugt, deſſen Thätigkeit durch keine Anſtrengung geſchwächt worden war, ſtarrte jetzt, in finſtres Schweigen verſenkt, auf den Boden, und nur die Zuſprache Stephaniens, die ſich ſeiner mit Tochterliebe annahm, vermochte ihn einigermaaßen zu beruhigen. „Euer Thaddäus kann kein Verräther ſeyn!“ – rief ſie ihm mit ſanfter Stimme zu; dankbar und mit Rührung blickte er auf ſie herab, legte ihr ſegnend die Hand auf, und ſagte mit tiefer Beklemmung: „Warum haſt Du mich nicht verlaſſen, meine edle, unglückliche Tochter? o ich meinte es gut mit Dir . . . !“

So vergingen einige Tage in bänglicher Ruhe, weil auch der Feind, dem ſeine bisherigen Eroberungen eine unglaubliche Menge Streiter gekoſtet hatte, nichts unternahm. Serin traf, wie vorher, die zweckmäßigſten Vertheidigungs-Anſtalten; doch ſchien er, zumal wenn er allein war, der vorige Serin nicht mehr. Tief an ſeinem Innern nagte der Gram; der Held, den Solyman nicht zu beugen vermocht hatte, war durch ſeinen Soh zur Erde gedrückt. - Doch es waltet ein Weſen über uns, welches das Höchſte nie untergehen läßt in unſrer Bruſt; es waltet eine Vorſicht, die dem Sinkenden die Hand beut, und wenn Standhaftigkeit in dumpfes Hinbrüten, Muth in Verzweiflung übergehen will, das Edlere rettet.

Serin ſaß einſt bei anbrechender Dämmerung in tiefen Gedanken; er mochte niemand ſehen außer Stephanien; denn der Anblick ſeines Cyrills, und ſelbſt des wackern Juranitzſch, erneuerte ſeinen Gram um Thaddäus.

Eben hatte ſich die freundliche Tröſterin hereingeſchlichen, und ſtimmte leiſe die Harfe; da erſchollen klirrende Tritte auf der Treppe; die Thürflügel wurden aufgeriſſen, und Juranitzſch, einen Pfeil und einem Brief in der Hand, ſtürzte außer Athem herein.

„O mein General!“ – rief er, und die Freude hemmte ſeine Sprache – „o mein Vater! Vor wenig Minuten fand man dieſen Pfeil in der Schanze; dieſer Brief war daran befeſtigt. – Leſ’t – o leſet!“ -

Der Brief war an Juranitzſch gerichtet, und lautete alſo:

„Ich halte mich für ſchuldig, Dir von Thaddäus Serin Nachricht zu geben. Der wackere Jüngling konnte es nicht tragen, daß dem jüngern Bruder eine unſrer Fahnen und das Lob des Vaters zu Theil worden war. Bei euerm letzten Rückzuge durchbrach er mit einem kleinen Häuflein unſre Spahis, und hieb ſich bis zum Großvizier Mehemet Baſſa durch. Ihn, den er für Solyman hielt, wollte er ermorden. Nur unſere Ueberlegenheit konnte ihn von Vollbringung dieſes Vorſaes abhalten. Seyd unbeſorgt ſeinetwegen. Er wird durch mich Gelegenheit finden, der Gefangenſchaft zu entkommen. - Muſtapha Vilith.“

Zitternd, weinend vor Freuden, ſank der Greis in Juranitzſch's und Stephaniens Arme. „Die Welt lag auf meinem Herzen“ – ſagte er zärtlich, und drückte ſie feſter an ſich. – „aber jetzt iſt mirs leicht. Thaddäus iſt unſrer nicht unwerth, und ſoll er ſterben, ſo ſtirbt er mit Ehren, wie wir!“

 13.

In der That wurde ein ehrenvoller Tod nach und nach die einzige Ausſicht der Belagerten. Denn ſo wie auf ihrer Seite die Hoffnung eines Entſatzes, oder der Möglichkeit, ſich längere Zeit zu halten, immer mehr und mehr verſchwand; ſo ergrimmte im Gegentheil Solyman über ſeine mißlungene Liſt und Serins unbeſiegbare Treue ſo heftig, daß er ſich ſelbſt gelobte, am neun und zwanzigſten Auguſt, welcher von den Türken für einen Glückstag gehalten wird, es koſte auch, was es wolle, dem Kampfe durch einen Hauptſturm ein Ende zu machen." -

Die Janitſcharen erhielten Befehl zum Angriffe; ihnen folgte das ganze Heer. Der Anſall war wüthend; die Vertheidigung verzweifelnd. Immer wechſelten auf Seiten der Türken friſche Truppen mit den ermüdeten; immer ſchritten neue kampfgierige Schaaren über die Leichname ihrer Brüder; umſonſt! nirgends gelang es, die Chriſten zu überwältigen. Solyman, obwol wüthend vor Zorn, gab das Zeichen zum Rückzuge.

Erſt am fünften September ließ er den Sturm erneuern. Dießmal war der Angriff ſo vorbereitet, daß ein ſiegreicher Ausgang., ſo gut, als gewiß ſchien. Denn nicht genug, daß die Türken bei Nachtzeit das große Bollwerk untergraben, und dadurch den Vortheit erlangt, hatten, die Chriſten von unten herauf durch das Gatterwerk zu beſchießen; nicht genug, daß es ihnen ſogar gelang, das Bollwerk anzuzünden, und daß ein heftiger Wind die Flammen bis in das innere Schloß trieb; ſo beſchoſſen auch die Türken dieſes ſelbſt von allen vier Seiten, und ſendeten ein Bleihagel auf die hart bedrängten Chriſten; ſo griffen ſie auch zu gleicher Zeit mit geſammelter Macht die Na daſtiſche Baſtei an, und zwar ſo wütehnd, daß ſie bald vor Dampf und wildem Grimm ihre eignen Truppen nicht mehr erkannten.

Hier zeigte es ſich, was wahrer Muth gegen blinde Raſerei, Kriegskunſt gegen unges: ordnete Anfälle vermöge. Der tapfere Serin, war ſelbſt überall, wo die Noth am größten war, bei der Hand, und zeichnete ſich nicht blos durch Klugheit, ſondern ſogar durch per ſönliche Tapferkeit aus; dreimal ließ Solyman: die Baſtion angreiffen, dreimal wurden ſeine Truppen zurück geworfen; ſieben tauſend Mann der Seinigen ſollen an dieſem Tage auf dem Platze geblieben ſeyn.

 14.

Die Wirkung dieſes verunglückten Sturms, in Hinſicht des Sultans, iſt vielleicht die einzige ihrer Art in der Geſchichte. Der Gedanke, daß irgend ein Menſch auf Erden ihm zu trotzen wage, der Gedanke, ſeine ganze ungeheure Macht von einem ſo unbedeutenden Häuflein in weitern Fortſchritten gehemmt und gleichſam verſpottet zu ſehen, traf ſo zerſtörend auf ſeinen, durch hohes Alter und raſtloſe Anſtrengung geſchwächten Körper, reizte ſein ſtolzes Herz zu ſo heftigem Aerger und Zorn, daß ihn noch in derſelben Nacht der Schlag: rührte, nachdem er faſt ſieben und vierzig Jahre eine Geißel der Chriſtenheit geweſen war, und ſechs und ſiebzig Jahre gelebt hatte. Nach ſeinem Tode wüthete ein heftiger Sturm durch das Türkiſche Lager, zerſtörte es faſt gänzlich, und führte die Gezelte hoch in den Lüften davon.

Er hinterließ einen eben ſo klugen und treuen, als tapfern Heerführer in ſeinen Großvezier, Mehemet Baſſa. Dieſer, der eine Rebellion befürchtete, wenn der Tod des Sultans bekannt würde, faßte ſogleich den Entſchluß, denſelben möglichſt zu verheimlichen, und ließ ſogar in dieſer Abſicht Solymans Leibarzt heimlich aus dem Wege räumen. Dieſer grauſamen Vorſicht ungeachtet verbreitete ſich jedoch im Lager das befürchtete Gerücht; Baſſen und Janitſcharen drängten ſich um das Hauptgezelt, und verlangten, den Sultan zu ſehen.

Jetzt mußte Mehemet zu einer Liſt ſeine Zuflucht nehmen. Er ließ Solymans Leichnam. auf einem Stuhle befeſtigen, als wenn er noch lebte, und da dem Gezelt ſich niemand nähern durfte, ſo wurde der Haufe hintergangen.

Doch faſt hätte ſeine eigne treue Anhänglichkeit an ſeinen verſtorbenen Beherrſcher das Geheimniß verrathen. Denn ihm ſelbſt preßte, als er aus dem Gezelt trat, dieß niedrige Poſſenſpiel, wozu er ſeine Zuflucht nehmen mußte, und das traurige Andenken an die Nichtigkeit aller irdiſchen Größe, einige Thränen aus, die von den Soldaten bemerkt wurden und neuen Argwohn erweckten.

Jetzt kehrte ſeine Beſonnenheit zurück. Rit einem verſtellten wehmüthigen Blick überſchaute er die ganze, weit ausgebreitete Menge, und rief: „Nicht um den Sultan weine ich der zwar krank war, doch nun außer Gefahr iſt; euch, Kameraden! gilt mein Mitleid. Solyman hat euch alle, wenn nicht in drei Tagen die Feſtung erobert iſt, zu einem grauſamen Tode beſtimmt!“

Dieſe überraſchende Wendung brachte in den Gemüthern der Türken eine ſo heftige Wirkung hervor, daß ſie ſich aufs neue mit unglaublicher Kampfluſt dem Tode entgegen ſtürzten.

 15.

In dem Kaſtell, wo man den Tod Solymans nicht erfuhr, wüthete indeſſen das Feuer unerſättlich weiter, und näherte ſich ſchon dem Pulver, wovon ein beträchtlicher Vorrath in der Vorburg, nicht allzuweit von dem innern Schloſſe, aufbewahrt wurde. Die Türken wiederholten zugleich den Sturm, und nöthigten endlich Serin, ſich, mit abermaliger großer Einbuße ſeiner tapfern Kriegsleute, in das innere Schloß zurück zu ziehen, das nur wenig befeſtigt war und nichts, als verſchiedene von Serin bewohnte Zimmer, nebſt etlichen Gemächern, voll Pulver und Proviant, in ſich ſchloß. Zudem blieb den Chriſten kein Geſchütz übrig, außer zwei Kanonen, zwei Mörſern und vierzehn Doppelhacken; die Türken hingegen pflanzten ſchon ihre Fahnen auf die Wälle, und führten nun die eroberten Stücke gegen die Belagerten ſelbſt auf. Dann ruheten ſie zwei Tage, und fingen erſt am Marienabende, den ſiebenten September, mit erneuter Wuth an, die innere Burg mit Pechkränzen und Feuerbränden zu bewerfen.

Der nächſtkommende Morgen war von ihnen zum letzten Act des ſchrecklichen Schauſpiels beſtimmt; deshalb wurde der noch unerſtiegene Theil des Kaſtells gegen Abend und die ganze Nacht über nicht weiter beunruhigt. -

 16,

Serin, bei dem nun jeder Gedanke an äußere Hülfe und Befreiung längſt verſchwunden war, der aber auch im Fall des Ergebens ſein und der Seinigen Schickſal leicht voraus, ſehen konnte, benutzte dieſen Stillſtand zu einer Unterredung mit ſeinen wenigen, noch aberbliebenen Officieren. Er, und durch ſein Beiſpiel entzündet, die ganze Verſammlung, war einſtimmig entſchloſſen, fechtend zu ſterben, und man traf mit kalter Entſchloſſenheit Anſtalt, den Feind die Freude des Triumphs theuer bezahlen zu laſſen.

Nachdem alles verabredet war, entließ Serin ſeine Freunde, jeden mit einem Händedruck; nur Juranitzſch hielt er zurück, und ſagte mit finſterm, zu Boden gerichtetem Blick: „Der Tod iſt ein Augenblick, Juranitzſch aber –-“

„Serin! Serin!“ – erwiderte dieſer in halber Verzweiflung – „verſteh ich Euch recht?“

„Du biſt der Unglücklichſte von uns allen!“ „Ich bins! – Ja, ich verſtand Euch –“ „Stephanie erwartet Dich, hoffentlich auf alles bereit. Ich entbinde Dich bis nach Mitternacht Deines Dienſts. Was Du thun willſt, thue bald! Geh', mein Sohn!“

Juranitzſch preßte Serins- Hand wild an ſein wallendes Herz, an ſeine zuckenden Lip pen, und eilte, wie von böſen Geiſtern verfolgt, aus dem Zimmer. - :

 17.

Stephanie, jetzt das einzige Weib unter bis aufs Aeußerſte gebrachten, dem Tode ges weihten Kriegern, hatte ſich in der letzten Zeit auf Serins Befehl ſtets in einem der hinterſen, kugelfeſten Gemächer aufgehalten, und nur dann es verlaſſen, wenn Mitleid und Pflicht ſie abrief, einen Verſchmachteten zU aben, einen Verwundeten zu verbinden.

Wie ſchrecklich ihre Einſamkeit ſeyn mußte, wird jedes Herz fühlen. Die furchtbaren Ereigniſſe, womit ſie unaufhörlich umringt war, die Gefahr, in welcher ihr Gemahl, ſie ſelbſt, und alle, die ihr theuer waren, in jedem Augenblick ſchwebten, der Gedanke an ihre Zukunft, und ſelbſt die lange Entbehrung alles Schlafs hatten ihre Empfindungen völlig abgeſtumpft. „Sie wandelte wie ein Schatten herum, und faltete ſchweigend die Hände; be ten, weinen, könnte ſie nicht mehr.

In dieſer Gemüthsſtimmung war ſie am vorletzten Tage in ihr Zimmer getreten; an das Geſchrei der Streitenden, das Gewinſel der Fallenden, den Donner des Geſchützes, war ſie ſo gewöhnt, daß ſie es kaum noch hörte; eine aufgeſchlagene Handſchrift, die Serin abſichtlich für ſie hingelegt hatte, fiel ihr in die Augen; ſie zog ſie, um ſich ſelbſt zu vergeſſen und ihre Sinne zu übertäuben, gelaſſen an ſich, und las johngefähr, wie folget: - -

 18.

Als nun der prächtige Orientaliſche Kaiſerſitz[5] ſolchergeſtalt nach einer fünf und funfzigtägigen Belagerung mit Sturm erobert Koorden, da ward das Schwerd der Unglänbi gen von Chriſtepblut trunken, und iſt ſolches ſtromweiſe durch die Stadt in das Meer gefloſſen. Der größte Frevel ward an Kirchen und Klöſtern verübt, beſonders an dem Wunder tempel St. Sophiä. Die koſtbarſten Bildſäulen und Gemälde, ſo den Türken nach ih rem Geſetz ein Greuel, wurden zur Erden geriſſen, zerſchlagen, in den Kath getreten; die Altäre entheiligt, die Heiligthümer zerſtreuet, wie auch Kelche Monſtranzen und andere Kirchen Kleinodien an Gold und Silber geraubet und zur Ueppigkeit gebraucht. Was vor Schande mit den Frauen, Edlen und Unedien, Weibern, Jungfrauen und Nonnen begangen worden, wird billig verſchwiegen, außer daß die Kirchen und Altäre nicht mit ſolchen Greuelthaten verſchont, auch die Geſchändeten nach verübter Luſt in Stücken gehauen worden.

Freitags darauf, als am Türkiſchen Sabbath, nachdem die Stadt von Einwohnern ganz ausgeleert, hielt der Sultan ſeinen Triumpheinzug, und ward in der Sophienkirche Gott und dem falſchen Propheten Mahomet für verliehenen Sieg ein Dankfeſt gefeiert. Gegen Abend gab der Tyrann offene Tafel, und nachdem er ſich wohl bezecht, ließ er die troſtloſe Kaiſerin nebſt ihren beiden Töchtern und übrigem Frauenzimmer vor ſich führen. Sodann – – “

Stephanie konnte vor Entſetzen das Fols gende nicht leſen; der Schmerz überfiel ſie wie ein Gewappneter; ſie ſprang auf, und rang verzweifelnd die Hände. In ſchrecklicher Beängſtigung ging ſie einige Stunden auf und ab. Jetzt ſchallte das Geſchrei der Kämpfenden lauter; das Gepraſſel des Feuers ſchien ſich zu nähern. Mit feſt in einander geſchlagenen Händen ſetzte ſie ſich wieder zu dem Geſchichtsbuchc, ſchlug ein Blatt um, und las weiter:

„Unter dem kaiſerlichen Hof-Frauenzimmer befand ſich auch eine Jungfrau, Namens Irene. Dieſe glaubte ihr Leben durch ihre blühende, kaum ſiebzehnjährige Jugend und bewundernswürdige Schönheit zu retten. Denn, als Mahomet in dem kaiſerlichen Palaſt einzog, legte ſie allen ihren Schmuck an, putzte ſich aufs zierlichſte, und ging, gleichſam ganz ohne Sorgen, in den Schloßſälen ſpazieren. Solche Hoffnung betrog ſie auch keines wegs. Denn kaum hatte der Wütherich Mahomet ihre reizende Geſtalt erblickt, als die Beſiegte das Herz des Siegers eroberte. Man führte die ſchöne Irene in ſein Gemach, Und ſie war, gleich einer andern Venus, dieſem Marti in allem zu Willen, alſo, daß der Siegesfürſt bei dieſer Gefangenen einige Wochen in verliebter Gefangenſchaft verweilte. Aber ſeinen Kriegsoberſten dünkte es verächtlich, daß eine Sklavin ihren Herrn zum Knecht und Leibeignen mache, und dieß um ſo mehr, weil ſie fürchteten, er möchte ſelbige auch zur Sultantin ernennen.“

„Da Mahomet ſolcher Unwillen ſeiner Feldherren zu Ohren kam, foderte er alle Veziers und Baſſen aufs Schloß, und mußte die unvergleichliche Irene in fürſtlichem Schmuck an ſeiner Seite den Thron einnehmen. Darauf fragte er ſeine Hauptleute und Heerführer, was ihnen von Irene's Geſtalt dünke?“

„Als dieſe nun einſtimmig die Gefangene ſeiner Huld und der kaiſerlichen Umarmung werth prieſen, ſprach er zu ihnen alſo: „Ich bekenne es, einem Eroberer des Griechiſchen Kaiſerthums ſtehet es übel, daß ihn ein Weibsbild in Feſſeln lege. Sehet da die Liebesflamme, ſo mich entzündet hat, vor euern Augen erlöſchen!“

„Alſobald zog er ſeinen Säbe, und durchs hieb mit deſſen Schärfe die alabaſterne Kehle, daß Irene, wie eine abgehauene Lilienblume zur Erde ſank. Sodann befahl er, daß das Heer aufbreche – –“

Jetzt erhob ſich Stephanie von ihrem Seſſel, blickte feierlich gen Himmel, und legte das Buch auf die Seite. Ihr Muth war zurückgekehrt; ſie fühlte ſich unfähig, wie Irene zu handeln; ſie dachte mit Ruhe und Entſchloſsſenheit an den Hafen, wo kein Sturm die Geretteten erreicht, und betete nur um Eine Gunſt zu der Vorſicht, nur um das Glück, ihren Gemahl noch einmal zu ſprechen.

19.

Und ihr Wunſch wurde gewährt! Als ge: gen Abend der Kampf nachließ, ging Graf Serin, wie von Ohngefähr, durch ihr Zimmer. Sie trat ihm freundlich entgegen, faßte ſeine Hand, und ſagte mit leiſer, bittender Stimme: „Stephaniens Herz hegt andre Hoffnungen, als Irenens. Lebt mein Juranitzſch noch? werd' ich ihn noch einmal ſehn?“

„Bald – dieſe Nacht noch!“ - erwiderte der Commandant – „Lebt wohl, meine Tochter! – lebt wohl!“ – Mit dieſen Worten verließ er ſie, um ſich, wie wir gehört has ben, mit ſeinen zuſammen gerufenen Freunden zum letztenmal zu berathen.

Stephanie, auf Serins Verſprechen ver trauend, weidete ſich mit ſtillem Entzücken an dem Entſchluſſe, daß nichts wieder ſie von Juranitzſch trennen ſolle. Sie rufte die ſo ſchnell entflohenen glücklichen Augenblicke ihrer Liebe in ihr Gedächtniß zurück; ſie ordnete in wehmächigem Spiel ihr Gewand, ihre Locken, um ihm auch heute lieblich zu erſcheinen und die Spuren des Kummers, ſo viel möglich. " verbergen; ſie bereitete zu ſeiner Erquickung Speiſe und Trank; ſie deckte den Tiſch und zündete Lichter an; ſie holte ihre Harfe herbei und ſtimmte die Saiten. “

Als dieſ beſorgt war, ſchien ihr alles in Ordnung, was ſie noch auf dieſer Erde zu thun habe. Sie ſetzte ſich, ihn ſtill erwartend, auf ein Ruhebett; ihr Herz ſchlug freier und leichter, als je; ſie lehnte ihr ermüdetes Haupt an die Kiſſen; ihre lang ſchlummerloſen Augen ſchloſſen ſich; ein leiſer Schlaf überſchlich ſie.

So fand ſie noch Juranitzſch, als er, mit bleichem Geſicht und ſtarrem Blick, langſam hereintrat. In ſeiner Seele hatte ſchon längſt ein unſäglicher Schmerz gewüthet; der Gedanke, daß die edle, über alles geliebte Gattin in die Hände unmenſchlicher Feinde gerathen, von ihnen gemißhandelt, entehrt werden könne, hatte thn ſchon faſt bis zum Wahnſinn getrieben; ſchon einige Tage hatte er iöer einen ſchrecklichen Entſchluß gebrütet, den die letzten Worte Serins, nicht geweckt, ſondern ihm ſelbſt nur deutlicher gemacht, den ſie – dieß war der Anker, an den der Verzweifelnde ſich hielt – gebilligt und gewiſſermaaßen geheiligt hatten.

Ja, ſie mußte ſterben, ſeine Stephanie; ſie, der er jedes Glück des Himmels auf die Erde zu ziehen gewünſcht hätte, mußte von ſeiner Hand ſterben – und – Muſtapha's Gift tödtete ja ſchnell, wie ein Gedanke!

Mit ſchleichenden Schritten, einem ſchrekkenden Geſpenſt gleich, trat er vor die Schlummernde hin; ach! ſie lag vor ihm, wie ein Engel der Unſchuld; Wange und Mund war blaß, aber von keinem Zuge des Schmerzes entſtellt; ihr Buſen hob ſich ſo leicht, als halte ein fröhlich gauckelnder Traum ſie gefangen.

„Schlummre, ſchlummre, meine Stephanie“ – ſagte er leiſe – „ſchlummre noch ei nen Augenblick - –“

„Wenn ich im Schlummer ſie tödtete“ – unterbrach er ſich ſelbſt, und beſah die Spitze des Dolchs in der zitternden Hand – „wenn ſie, ohne es zu wiſſen, ſchmerzlos hinüberging –“

Er zuckte den Dolch, aber ſeine Hand ſchien gelähmt. „Von meiner Hand den Dolch geſtoßen in dieſen liebenden Buſen – o warum ward ich geboren? –“

Er zauderte; es war ihm unmöglich, den Stoß zu vollführen. Er füllte einen Becher mit Wein, und tröpfelte das im Dolchgriff verborgene Gift in denſelben.

Jetzt ſchien ihm die That ſchon zur Hälfte vollbracht; er gelobte es ſich, ſie auch ganz zu vollführen, und weckte Stephanien mit einem Kuſſe.

Erwachen und ihn glühend umarmen, ihn mit Küſſen überdecken, war nur eins,

„Nun hab' ich dich ja“ – rief ſie freudig aus – „nun kann dich ja nichts wieder mir entreißen!“ – Statt eine Leidende, der ſchrecklichſten Zukunft Preisgegebene vor ſich zu ſes hen, fand Juranitzſch eine Triumphirende, die ſchon allem Elend entgangen ſchien.

„Du wunderſt dich wol über mich, liebſter Gemahl?“ – fuhr Stephanie gelaſſener fort. – „O ſei ruhig; ich bin bei Sinnen; ich bin nicht außer mir; es war nur die Freude des erſten Empfangs! Sieh, ich weiß alles, was uns bevorſteht; ich bin auch auf alles gefaßt. Darum ſei auch Du ruhig, mein Juranitzſch, und laß uns die letzten Stunden nicht ſelbſt durch feige Klagen verkümmern; laß uns ein fröhliches Nachtmahl feiern, wie ehemals – die Gäſte nur ich und Du!“

Juranitzſch that ihr den Willen; ſie ſetzten ſich; Stephanie legte vor, aber die Speiſen widerten beide an.

„Hier iſt auch Wein, Guter!“ – ſagte Stephanie, und wollte die Becher füllen. Juranitzſch ſetzte den ſchon gefüllten mit zitternder Hand auf die Seite; Stephanie bemerkte es; ſie errieth ihn, doch erſchrak ſie nicht; ſie wußt ihm im Stillen Dank dafür, und ſchien ſeine Bangigkeit ganz zu überſehen. Juranizſch konnte nicht aufblicken.

„Du biſt kleinmüthig oder traurig, Geliebter! Du magſt weder Speiſe noch Trank. Soll ich Dich erheitern, wie ſonſt? Soll ich Dir das Liedchen ſingen, das uns vers band?“

Stephanie griff nach der Harfe, und ſpielte jene Melodie. Der Klang traf ſchmerzlich auf ſein gramzerrißnes Herz; er winkte ihr und konnte nicht reden.

„Nun denn ein andres, lieber Juranitzſch!“ – erwiderte ſie ſchmeichelnd – „Das von der verlaſſenen Braut, ein Soldatenliedehen aus dem Kriege wider König Johannes, wenn Du willſt, die Folge von jenem!“

Sie ſang, anfänglich mit beklommener, doch bald mit freierer, ſiegverkündender Stimme:

 20.

Darf ich weinen, darf ich muthlos zagen, Oder ſind auch Thränen mit verwehrt ? Darf die Liebe zu betrauern wagen, Den mit Lorbeern ſelbſt der Feind geehrt ?

Sprich noch einmal, düſtrer Schreckensbote, Dem der Knappe ſeine Lieb' vertraut; Sprich noch einmal von des Tapfern Tode Ohne Bangen zur verwaiſten Braut!

Doch du floheſt, konnt’ſt nicht Zähren ſehen, Weiberzähren, rauher Mann im Stahl; Hörteſt nicht auf der Verlobten Fiehen, Mich zu leiten zu der Helden Maal!

Hört es, Brüder, denn von mir, was geſtern Mir der Mann im Panzerſtahl gebracht; Hört es denn von mir, ihr, meine Schweſtern, Und dann geht, und laßt mich unbewacht!

Ihr, die meinen Jüngling oft geſehen, Sagt, ob Einer ihm auf Erden glich? Prieſet ihr . . . jetzt könnt ihr es geſtehen . . . Prieſet ihr nicht oft zu glücklich mich ?

Ja, ich wars! Da riefs zum Krieg den Knappen Und er ſprach: Nur rühmlich kehr' ich Dir! Warf ſich eiend auf den wäckern Rappen, Ließ den Ring der ew'gen Treue mir.

Und er ſchrieb: Nach rühmlichem Gefechte Hat der Fürſt das Panner mir vertraut; Mit dem Fähnlein, oder ohne Rechte, Kehr' ich wieder zur geliebten Braut!

Schweſter, nimmer kehrt der Knappe wieder  Aus des Todes blutgedüngtem Feld! Weidet zagend eure Lämmer, Brüder, Fromme »m und beweint den Held.

Sn der Linken hielt er noch den Degen; . Denn ein Stumpf nur war die rechte Hand; Mann und Roß hat auf dem Fähnlein legen; Nur der Leich“ hat es der Feind entwandt.

Stephanie endete den Geſang mit hohem Ausdruck und ſiegender Stärke; es war ihr gelungen, die Eisrinde zu ſchmelzen die ſich um das Herz ihres Gemahls gelagert hatte.

Doch eben weil er dieß fühlte, fürchtete er auch, zu weich, zu Ausführung ſeines Vorſatzes zu ſchwach zu werden. Haſtig ergriff er den vergifteten Kelch und reichte ihn Stephanien dar. „Trink, meine gute Stephanie!“– ſagte, er mit dumpfer Stimme und wandte ſich ab. -

Stephanie umſchlang feurig ſeinen Hals – „O Dank, mein Geliebter! Nicht wahr, wi theilen?“

Juranitzſch verbarg ſein Geſicht an ihrer Bruſt, und murmelte leiſe: „Mein Leben gehört dem Vaterlande und Serin –“

„Und das meinige Dir!“ – verſetzte Stephanie mit Wärme und Entſchloſſenheit

„Dieſes Bechers bedarf es nicht. Vor Gott hab' ich Dir Treue gelobt, und werde ſie halten! Ich war Deine Gefährtin im Leben; auch im Tode werd' ich nicht von Dir weichen!“

 21.

Die letzte Nacht war vorüber; der Morgen des Todes brach an. Schon gaben die Trommeln, das Zeichen; ſchon flogen aufs neue die Flammen; ſchon hatte Graf Serin Nach richt erhalten, daß alle ſeine Befehle befolgt waren; ſchon rückte die ganze, ausgeruhete Macht der Türken gegen die ermatteten Chriſten.

Serin, zu einem ritterlichen Tode bereit, ließ ſich in der Frühe ſeine koſtbarſte Kleidung, die Schlüſſel des Kaſtells und den Säbel rei chen; die Rüſtung, die ſein Diener ihm brachte, ſchlug er aus. So begab er ſich auf den Burgplatz, wo die ueberbleibſel der Beſatzung, Unter ihnen auch neben Juranitzſch Stephanie in männlicher Kleidung, mit den Waffen i der Hand ihn erwarteten.

„Willkommen, liebe Brüder, treue Gefährten!“ – redete er ſie an – „Durch Feuer, nicht durch Tapferkeit, beſiegen uns die Feinde. Doch ihr erinnert euch, wozu wir uns gegenſeitig eidlich verbanden. Wenig Zeit iſt uns übrig; ſollen wir erwarten, bis dieſe Flammen uns ergreifen, dieſe brennenden Thürme über uns einſtürzen? Darum denke jeder daran, daß heute unſer König, unſer Vaterland, ganz Eutopa, uns auf die Hände ſieht; denke jeder daran, daß wer für den Glauben fechtend, ritterlich ſtirbt, dort zu Gott kommt, und wer von uns dieſen Tag überlebt, vor aller Welt Ehre und Ruhm erwirbt! Und ſo – in Gottes Nahmen ! Ich gehe voran!“

Ein lautes Beifallsgeſchrei ertönte – von allen Seiten; alle Soldaten warfen Schild, Helm und Panzer, ſelbſt die Degenſcheide von ſich, und ſchwangen nur noch den gezückten Degen in der nervigen Fauſt.

Jetzt ergriff Serin die vergoldete Hauptfahne mit der Linken, ſchwang mit der Rechten das Schwerd, und rief dreimal den Namen: Jeſus; dreimal wurde dieß Feldgeſchrei wiederholt.

„Mir die Fahne, mein Vater!“ – rief hervorſtürzend Stephanie – „Zu ſchwach iſt dieſe Hand, um das Schwerd zu führen; aber zurückweichen werde ich nicht!“

Serin erfüllte wehmüthig - lächelnd ihre letzte Bitte; die Pforten wurden auf ſeinen Befehl geöfnet, die Fallbrücke herabgelaſſen; Juranitzſch und Stephanie waren die Erſten unter den Herausdringenden; eine feindliche Stückkugel ſchmetterte augenblicklich beide zu gleich, neben ihnen auch den edlen Cyrill, zu Boden.

 22.

Auf der Brücke begann nun eins der fürchterlichſten Gefechte, das vielleicht jemals gefochten ward. Serin hatte mitten im Thore ein mit Steinen und eiſernen Hagel geladenes Stück aufführen laſſen, und da die Türken ſich in dichtgedrängten Haufen vor der Brücke poſtirt hatten, ſo richtete dieſer einzige Schuß ein ſo ſchreckliches Blutbad unter ihnen an, daß, nach dem Bericht eines gleichzeitigen Schriftſtellers, gegen ſechshundert Türken niederge riſſen wurden.

Mitten unter den hierdurch verurſachten Dampf und Tumult ſtürzte Graf Serin und ſeine tapfere, bis auf ſechs hundert Mann geſchmolzene Schaar mit bloßem Säbel heraus, wcrd aber von den Türken mit einer zahlloſen Menge fliegender Pfeile und Kugeln empfangen. Deſſen ungeachtet ſchlug er ſich, wie ein ergrimmter Löwe, bis an das Ende der Brücke hindurch, als ein Schuß ſeine Bruſt, und bald darauf ein zweiter ſeine Stirn traf. Die Türken erhoben, da ſie ihn fallen ſahen, ein lautes Freudengeſchrei; das Gemetzel unter den Chriſten ward allgemein; nur viere von ihnen ſollen dem Tode entkommen ſeyn; die Türken waren in kurzem des Kaſtells Meiſter..

Doch nicht lange dauerte ihr triumphirender Jubel. Denn Graf Serin hatte in der Nacht vor dem letzten Ausfalle einen ſteinernen Thurm untergraben, den Raum mit Pulver füllen und eine brennende Lunte daran legen laſſen, und als eine, faſt unzählbare Menge Türken kurz nach ihrem Siege das Schloß und die ganze benachbarte Gegend beſetzt hatte, flog die entzündete Mine mit einem ſo furchtbaren Schlage in die Höhe, daß alle Häuſer des innern Kaſtells und ſelbſt der Thurm aus dem Grunde gehoben, und über drei tauſend Türken, theils zerſchmettert, theils verſchüttet wur den. Die ganze Belagerung ſoll den Türken an die dreißig tauſend Mann gekoſtet haben.

Dem Leichnam Serins ließ der Janitſcharen-Aga das Haupt abſchlagen, und ſelbiges dem Großvizier, Mehemet Baſſa, zuſenden, welcher es wieder ſeinem Verwandten, dem Baſſa von Ofen, überſchickte. Den Rumpf begrub der edle Muſtapha Vilith. Doch wurde in einiger Zeit auch das Haupt dem Balthaſar Bathyani, einem Eidam, und Franciscus Thai, einem Schweſtermann des tapfern Serin, zu welchen Thaddäus glücklich entkommen war, überliefert, die es einbalſamiren ließen. Von dem ganzen Kaiſerlichen Heere etliche Meilen weit mit Trauermuſik und geſenkten Fahnen begleitet, führte man dieß ehrwürdige Heldenhaupt endlich nach Czackathurn, einem Familienguth, woſelbſt es im Kloſter St. Helenä, neben Serins Gemahlin und Tochter, feierlichſt zur Erde beſtattet wurde.




[1] Valentin Eming, mit dem Zunamen: der Türke, vertheidigte Sigeth im Jahr 153o auf das tapferſte gegen König Johann es von Ungarn. Seine Kinder überließen ſpäterhin dieſem Platz an Kaiſer Ferdinand den Erſten.
[2] So ließ, um nur ein Beiſpiel chriſtlicher Seits anzuführen, Solyman im Jahr 1520 ſeine Thronbeſteigung denn Könige Ludwig von Ungarn durch eine Geſandtſchaft bekannt machen. Man erwiderte dieſe nachbarliche Höflichkeit dadurch, daß man die Geſandten erſäufte.
[3] Er hegte drei Wünſche, wovon nur die zwei erſten in Erfüllung gingen, nämlich: ſeinen Moſcheenbau, ein coloſſaliſches Werk, zu vollenden; die Altrömiſchen Waſſerleitungen herzuſtellen, um Conſtantinopel mit hin.änglichem Waſſer zu verſorgen, und Wien zu erobern.
[4] Schon bei Eroberung der Inſel Rhodus 'ließ er Karthaunen aufführen, welche Steine, von acht bis neun Mannsſpannen im Umfange, ſchleuderten.
[5] Conſtantinopel ging am 22. Mai 1453 an den Sultan Mahomet II über.

Excerpts from reports about events near Sisak in 1593

Source:  Spomenici hrvatske Krajine: Od godine 1479 do 1610, Volume 1, edited by Radoslav Lopašić https://books.google.ca/books?id=tHLvuERLU...