Wednesday, February 7, 2018

Vorwort zum hiſtoriſch-dramatiſchen Tongemälde „ Zrinyi“.


Vorwort zum hiſtoriſch-dramatiſchen Tongemälde „ Zrinyi“.

in Aesthetische Rundschau 1866
by August Adelburg 


 Niclas Zrinyi! Welch wunderherrliche Erinnerungen und Gefühle rufſt du wach, geheiligter Name, den die Unſterblichkeit mit ſtrahlenden Zeichen in ihr Buch geſchrieben! Wenn je eine That das menſchliche Geſchlecht adelt und es in ſich ſelbſt erhebt, ſo iſt's die deine! Zum erſten Male ſeit Leonidas und ſeiner dreihundert Spartaner männlich-tugendhafter That weiſt die Welt mit Zrinyis und der Seinen uneigennütziger Aufopferung Ebenbürtiges wieder auf! Und dieſe wunderbare That geiſterhafter, überirdiſcher Heldenentſagung aus glühender Liebe zum Vaterlande und treueſter Treue an ſeinem Herrſcher, dieſe wunderbare That, die nicht nur des eigenen Volkes allein – die der geſammten Menſchheit heiligſten Stolz wachruft, – jene erhabene Perſönlichkeit, Leonidas mit Curtius in ſich paarend – ſollte ſie nicht der würdigſten eine ſein, in tönenden Klängen fortzuleben? Gibt es Würdigeres für begeiſterten Geſang, als die großen, edlen Thaten edler, großer Völker und Männer? Orientalen, Hellenen und Römer, Barden und Skalden ſangen den Ruhm großer Männer und entflammten, befeuerten

– hätte die Dichtung aller Zeiten wohl eine mindere und weniger würdige Aufgabe zu vollbringen, als eben dieſe? Oder ſoll ſie ſich etwa an Stoffen der Alltagswelt laben, und ſchon gänzlich vergeſſen des erhabenen »odi profanum vulgus“? Soll ſie ſich in weinerlich-weibiſchem Weltſchmerz ergehen und ſo die Lähmung jeglicher Thatkraft bewirken? Nein, es gibt einen Weltſchmerz, größer als jener des zum ſkeptiſchen »Fauſt“ gewordenen individuellen Dichters, – wer das nationale Streben, Sehnen und Ringen der Völker, dieſen erhabenen Weltſchmerz aller Zeiten, nicht in ſeinem dichteriſchen Weſen erfaßt – der hat ſeine Zeit ſelbſt nicht begriffen und dichtet umſonſt. Der freien Dichtung kann kein würdevolleres Ziel vorleuchten als jenes, die köſtlichen Blumen zu pflücken, die dem Schooße nationalen Dichtungsdranges entſproſſen, und ſie zu duftigen und unverwelklichen Sträußen zu binden. Der Dichter ſelbſt aber ſteht über dem nationalen Treiben; er eignet ſich, ein wahrer Weltbürger, das Dichteriſch-Schöne der Nationen an, er muß ihnen dadurch zu Gemüth reden und dichten, ohne einer und der anderen von ihnen anzugehören, denn durch das Wollen des Schönen gehört er eben Allen an.

Und iſt nicht Muſik die Weltſprache, die die entfernteſten Welten aneinander bindet? Eine Sprache, die überall verſtanden wird, wo menſchliche Herzen ſchlagen. Und dieſe gewaltigſte und Eine unter allen Sprachen, die alle übrigen in ſich faßt und ſie alle in ihr Idiom allgemeinverſtändlich überſetzt – dieſe freieſte und luftigſte aller freien Dichtungsformen, ſie ſollte ſich nicht endlich frei regen dürfen allſeits, ohne zu ſogenannten »Schulen“ zu gehören? Man war bisher gewohnt, eine deutſche, franzöſiſche und italieniſche Muſikgattung anzuerkennen. Die Zeit iſt hoffentlich gekommen, wo dieſe Entweihung der freieſten dichteriſchen Kunſt aufhören muß, – es gibt keine ausſchließlich deutſche, italieniſche und franzöſiſche Muſik mehr; es gibt nur Eine Sprache der Töne, die ſo viel Dialecte redet, als muſikaliſche Nationen vorhanden ſind, d. h. eben, jede Nation drückt der Tonſprache im Geſange den dichteriſchen Nationalcharakter auf; daher der Tondichter dramatiſcher Werke von nun an ſeine Geſtalten muſikaliſch charakteriſiren muß nach Art ihres ihnen eigenthümlichen Geſanges. Die Zeit des Einzelberechtigten iſt vorüber, die der berechtigten Geſammtheit bricht an.

Inſoferne nun die Oper, d. h. das durch Muſik idealiſirte Drama, es mit dichteriſcher Darſtellung bedeutungsvoller geſchichtlicher Momente und Abſchnitte zu thun hat, verherrlicht ſie, als ge waltige Wort- und Tondichtung, natürlich eben die Nation, deren geſchichtliche Heldenthaten ſie durch Töne idealiſirt. Daher kann und muß eine hiſtoriſch-dramatiſche Tondichtung mit Fug und Recht nicht anders denn eine Nationaloper im weiteſten Sinne genannt werden. Bei ſolcher Anſchauung aber iſt ſchon die Form der muſikaliſch-poetiſchen Behandlung von ſelbſt gegeben. Das charakteriſtiſch nationale Element muß hierbei in der Tondichtung ſelbſtverſtändlicherweiſe in ſeiner vollſten Berechtigung auftreten, und ſich in muſikaliſch objectiver Charakteriſirung geltend machen, unbeſchadet des Ausdrucks rein menſchlicher Gefühle und pathetiſcher Situationen, wobei die Tondichtung dann eben von jeglicher Localfärbung abſtrahirt und als alleiniger Ausdruck der Situation erſcheint.

Die Nationen, als dichteriſche Individualität aufgefaßt, ſind ein ſo mächtiger und unerſchöpflicher Born hehrer dichteriſcher Eingebung, da ſie die Einbildungskraft zu gewaltigſtem und herrlichſtem Schaffen anregen. Es iſt ein unergründlicher Schacht der Poeſie, in den der Dichter hinabtaucht, um ſtets die koſtbarſten, ſtrahlendſten Edelſteine idealen Schaffens auf die Oberfläche zu befördern!

Und könnte die Grundidee eines hiſtoriſch-muſikaliſchen Dramas, nach unſerer Anſchauung als National-Oper im weiteſten Sinne erfaßt, wohl eine andere ſein, als eben die Verherrlichung eines geſchichtlich-hervorragenden Volkes in ſeinen edelſten Helden und deren für die Menſchheit bedeutſamſten Thaten? So beſangen die unſterblichen Eiviliſatoren menſchlichen Geſchlechtes, die Hellenen, ihre ſchönſten Thaten in dichteriſchen Kampfſpielen mit claſſiſch äſthetiſcher Weihe; ſo ertönten Oſſians mächtige Harfenklänge, das Höchſte zu beſingen, worauf die edle Menſchheit ſtolz, die hehren Thaten ihrer für den Ruhm des Vaterlandes kämpfenden Helden!

Und wir, deren Zeitepoche die lieblichſte und gewaltigſte der Göttinnen, die Harmonie der Klänge, ſo reich begünſtigt hat, daß wir in tauſend und tauſend vereinigten Tonzungen unſeren Geſang mächtig erbrauſen laſſen dürfen, wir, denen die Göttin die ganze unendliche Fülle ihrer Tonwelten erſchloſſen, wir ſollten minder würdige Geſänge erſchallen laſſen, als jene gewiß minder begünſtigten, und doch ſo hehren Sangheroen grauer oſſianiſcher Vorzeiten, die, auf einſamen Felſen ſitzend, der Harfe Klänge mit begeiſtertem Geſange hinabfallen ließen in die brauſende Meeresbrandung, daß ſie ſich miſchten mit der Dommermuſik des Oceans!

Gewiß, ſo wie der Bildner Denkmale in Erz gießt und in Stein haut, um Edles und Großes den Jahrhunderten zu überliefern, eben ſo kann Euterpe ihr Monument den Würdigſten der Menſchheit in heiligen, unvergänglichen Tönen ſetzen, daß ſie fortklingen und ſingen in die Zeiten, und als mächtige Aeolsharfe ihre Accorde geiſterhaft mahnend hinüberſäuſeln in die Jahrhunderte!

Der Dichter aber, als Menſch, vergeſſe freilich bei ſolch gewaltger Arbeit nicht an des Vorgängers menſchlich-ſchönem Spruche feſtzuhalten:

„Ut desint vires, tamen est laudanda voluntas“ – denn das Edle wollen, iſt ſchon deſſen halbes Vollbringen, und: »wer den Beſten ſeiner Zeit Genüge gethan, der hat gelebt für »alle Zeiten.“

Die Beſingung großer Thaten der Menſchheit in ihren edelſten Helden iſt alſo, unſerer tiefſten Ueberzeugung nach, die einzig würdige und würdevollſte Aufgabe der hiſtoriſch-dramatiſchen Tondichtung, – denn ihrem gewaltigen Standpuncte nach ſoll ſie eben die würdige Nachfolgerin der erhabenen Bardengeſänge ſein. Die Oper iſt demnach keine muſikaliſche Unterhaltung, ſondern ein weihevolles Dichtungswerk.

Wir ſagen alſo, daß die dramatiſche Tondichtung, welche hervorragende Thaten geſchichtlich großer Nationen beſingt, mit beſtem Rechte eine Nationaloper im vollſten und weiteſten Sinne des Wortes iſt, inſoferne die Nationen große geſchichtliche Individuen bilden, die ſich charakteriſtiſch von einander unterſcheiden. Dieſe Breite der Auffaſſung der Sache bedingt aber gleicherweiſe, daß die dramatiſche Tondichtung, die wir alſo als Nationaloper bezeichnen, nicht innerhalb der engen Gränzen einer ausſchließlichen Nationalität fallen darf, d. h. wir meinen, daß eine Tondichtung nicht deswegen allein ſchon eine nationale benannt werden könne, weil ſie die enggezogenen Gränzen nationaler Geſangsweiſe nicht überſchreiten dürfe, und indem ſie ausſchließlich national-muſikaliſche Aeußerlichkeiten zur Schau trage, – nicht deswegen allein, weil der Geſang, die Melodie nach ausſchließlich nationalem Typus gemodelt erſchiene, einzig zu dem Zweck, um den ſpeciellen Nationalgeſang mit einigen neuen liederartigen Melodien zu bereichern, und wodurch ſolcher Dichtung an allgemein giltigem Intereſſe Abbruch und Eintrag geſchieht und geſchehen muß. Nein, wir wiederholen es, in dieſem beſchränkten Sinne des Wortes faſſen wir den Begriff der Nationaloper nicht auf. Die Nationen ſind ein Theil jenes großen Ganzen, Menſchheit genannt, und helfen die Weltgeſchichte bilden; daher haben hervorragende Thaten der einzelnen, wenn ſie geſchichtlich epochemachend eingreifen, allgemeines Intereſſe für das Ganze, ſie ſind bedeutſam in allgegemein menſchlichem Sinne. Die Edelſten aus allen Theilen der Menſchheit gehören nicht nur ihrem Volke, ſie gehören der Menſchheit zu. Unſere Anſchauung iſt alſo im cosmopolitiſchen Sinne zu verſtehen. Alſo auch die dramatiſch-muſikaliſche Behandlung; in dem die Tondichtung ſtets die eigenthümliche Farbe des mutionalen Gemäldes beobachtet, ſich aber, wo allgemeinmenſchliche Regungen vor Allem hervortreten, von jeglicher Localfärbung abſtrahirend, zur alleinigen reinen Sprache menſchlicher Gefühle und Leidenſchaften ſtempelt, nur die innere Situation erfaſſend, von der außeren gänzlich abſehend.

Die dramatiſch-hiſtoriſche Tondichtung, ihrer erhabenen Aufgabe gehorchend, nur das Größte zu beſingen, begeht ihren höchſten Triumph, indem ſie die Völker zu ähnlichen erhabenen Thaten anſpornt und begeiſtert. Denn die Dichtung ſoll begeiſtern, nicht lähmen, Thatenfreudigkeit entzünden, nicht weichlichen Weltſchmerz eingießen, – ſie ſoll höhere Welten erſchließen, nicht die Gemeinheit der Alltagswelt wiederſpiegeln. Und welch eine Macht iſt wohl unwiderſtehlicher, gewaltiger, aufregender, begeiſtender zu allem Schönen und Erhabenen, als die Macht des Wortes auf des gottgeweihten Dichters Lippen, vermält mit der noch höheren Macht des farbenglühenden Tones.

In dem durch Tondichtung idealiſirten Drama handelt es ſich alſo nicht allein um die Tondichtung ſelbſt, es handelt ſich, inſoferne der dramatiſche Stoff national-geſchichtliche Epiſoden behandelt, gleicherweiſe um muſikaliſch-nationale Charakteriſtik. Und um wie viel ſtrenger muß Charakter da vorhanden ſein, wo das geſprochene Wort durch Töne gefärbt, gemalt werden ſoll! Hier muß alſo die Objectivität der muſikaliſchen Darſtellung gleicherweiſe der Träger der dichteriſchen Stimmung ſein, in die das dramatiſche Tongemälde verſetzen ſoll. Die Nationalität muß durch die über der Tondichtung ſchwebende Localfärbung gekennzeichnet ſein. Es ſollen, unſerer beſcheidenen Meinung nach, von nun an die dramatiſch-muſikaliſchen Charaktere, inſoferne ſie eben geſchichtlich-nationalen Epiſoden angehören, nicht mehr ſubjectivformaliſtiſch behandelt werden; man erkenne den nationalen Charakter der auf der Bühne einherwandelnden und handelnden Geſtalten an ihrem Geſange gleicherart, wie man ſie an ihrer Tracht und ihrem ganzen äußeren Weſen nothwendig erkennen muß.

Wenn nun die Volkstracht, wenn die charakteriſtiſche Art des Sprechens, Handelns und ſich Geberdens, wenn das Gemälde der Landſchaft das nationale Moment zu einem verſchiedenartigen ſtempelt, – ſollen die Töne, der Geſang allein des kennzeichnenden Momentes entbehren? Der Deutſche, der Romane, der Slave, der Orientale u. ſ. w., ſie alle kennzeichnen und unterſcheiden ſich durch die Tracht, durch das landſchaftliche Gemälde der Natur, die ſie bewohnen, durch ihre Sprache, durch ihren – Geſang. Wenn alſo die verſchiedenen Völker gleichermaßen durch ihre Tonweiſen, beſſer geſagt durch ihre Tonſprache, merrlich von einander abweichen, iſt nicht muſikaliſch-nationale Charakteriſtik gleichfalls eine unerläßliche Bedingung dramatiſcher Tongemälde?

Die Tondichter haben aber bisher ihre dramatiſchen Ton ſchöpfungen meiſtens ſubjectiv behandelt, unbekümmert um das charakteriſtiſch-nationale Colorit – und doch hat die Welt der Tonfarben auf ihrer rieſigen Palette mannigfaltigſte und unendliche Tonmiſchungen aufzuweiſen, vom Grau des nebelhaften eiſigſtarren Nordens bis zu den glühendſten Färbungen des ſtrahlenden Südens. Der Tondichter war gewohnt, die nationalen Perſönlichkeiten ſeines Tondramas ſtets mit der Tonfarbe ſeiner eigenen Nationalität zu malen; der deutſche Tondichter dichtet ausſchließlich deutſche, der Italiener italieniſche, der galliſche Tondichter franzöſiſche Muſik zu allen nationalen Gebilden, die er muſikaliſchdramatiſch darſtellt. Nun aber, gerechtermaßen zugeſtanden, wird der Maler eine nordiſche Landſchaft nicht mit den violetten Tinten Griechenlands oder den glühendgelben Tinten Indiens, eine ſüdliche Landſchaft nicht mit den grauen Tinten der Lüneburger Haide charakteriſtiſch darſtellen, – er wird jedem Individuum die kennzeichnenden Gewänder ſeiner Nation anlegen, – er malt den Aſiaten in faltenreicher, den Europäer in anſchließender Tracht, er beobachtet die Farbe der Kleidung, er gibt dem Hellenen den maleriſcherhabenen Faltenwurf, dem Römer die Toga. Und die Tondichtung allein hätte keine Tinten und Farben, dem Gemälde auch nach dieſer Seite den höchſten Reiz zu verleihen, den Reiz der Charakteriſtik? Nun aber ſteile der Tondichter eine geſchichtlichnationale Epiſode der Magyaren etwa in italieniſchem, eine germaniſche in franzöſiſchem, eine orientaliſche in deutſchem Tonſtyl dar u. ſ. w., – der Tondichter bleibe hierbei in ſeiner nationalen Subjectivität oder Jchheit eng eingeſchloſſen, und die muſikaliſchdargeſtellten nationalen Charaktere werden hierin gerade dasſelbe Geſicht machen (inſoferne nämlich das Gehör das Auge iſt, das die luftigen Tongeſtalten allein zu erblicken im Stande), als wenn man einer Minerva ſtatt des Helmes einen Pariſer Damenhut aufgeſetzt, oder einem römiſchen Imperator ſtatt des Sagum einen ſchwarzen Frack umgehängt hätte. (Schluß folgt.)

 Vorwort zum hiſtoriſch-dramatiſchen Tongemälde „Zrinyi“. (Schluß.)

Die Einheit in der charakteriſtiſchen Idee erſtrecke ſich alſo auch auf dem dramatiſchen Geſang: Denique sit quidvis simplex duntaxat et un um. (Horat. Epist. ad Pisones. 23. V.) Die gleiche Pein, die wir muſikaliſch erleiden müſſen, den Sohn Aſiens auf der Bühne in einem ſeinem Geſangscharakter fremden Style ſingen zu hören, dieſelbe Pein ſchwebt dem unſterblichen Verfaſſer der literariſchen Styleinheit vor, wenn er ſagt:

Humano capiti cervicem pictor equinam Jungere sivelit, et varias inducere plumas . . . . . . Spectatum admissi, risum teneatis amici?

Aus allem dem Geſagten aber geht ſelbſtverſtändlich hervor, daß, um die Einheit des Charakters auch in muſikaliſcher Darſtellung zu erreichen und feſtzuſtellen, der Tondichter die eigenthüm liche nationale Geſangsweiſe der Nation ſtudiren muß, deren Geſtalten er dramatiſch-muſikaliſches Leben verleihen will. Denn die charakteriſtiſche Ton- und Geſangsweiſe iſt bei verſchiedenen Völkern eine verſchiedene, wie dieß wohl jedermann weiß. Jedes Volkhat eine ihm eigenthümliche originale Art und Weiſe, ſeine dichteriſchen Gefühle ſowohl durch das Wort, wie durch den Ton kundzugeben. Anders lautet der Geſang des Slaven, als jener des Germanen, anders ſingt der Orientale, anders der Europäer.

Hiemit nun ſei zu wiederholen erlaubt, daß jedes geſchichtlichdramatiſche Tongedicht eine Nationaloper im ſtrengſten und edelſten Sinne des Wortes, im kosmopolitiſchen Sinne, iſt und ſein muß. Aus dieſen kurzberührten äſthetiſchen Betrachtungen aber ergibt ſich die unumſtößliche äſthetiſche Wahrheit, daß die göttliche Sprache der Töne Eine Gewaltige und Untheilbare iſt; und daß es höchſtens eben ſo viele Style muſikaliſcher Darſtellung geben kann, als es ſingende Nationen gibt, die ſich von einander unterſcheiden. Denn gleichwie man im Reiche der Tondichtung von einem deutſchen, franzöſiſchen und italieniſchen Muſikſtyle ſpricht, warum nicht mit demſelben Rechte einen magyariſchen, arabiſchen, türkiſchen, griechiſchen, ſlaviſchen Styl zugeben wollen?

Muſik umfaßt alle Völker der Welt, ſie kennzeichnet und unterſcheidet ſie alle. Muſik iſt die Eine Univerſalſprache, überſetzbar in alle Idiome der fünf Welten! Wird man wohl alle Völker mit drei alleinigen Sprachen charakteriſiren wollen? Verbannt ſei die Tyrannei dreier alleiniger Sprachen, die das Regiment für ſich in Anſpruch nehmen wollen. Im Reiche der Ideale gibt es keinen Zwang der Ausdrucksweiſe, und jegliches Dichtungsobject trägt ſeinen Stylund ſeine Charakteriſtik in ſich ſelbſt. Und, erlaubt ſei uns die Wiederholung, wo iſt erhabenere Poeſie zu finden, als im unerſchöpften Dichtungsborne der Völker! Welche Fundgrube poetiſcher Diamanten, welch unermeßliche Welten, die ſich da erſchließen, welch Urwüchſigkeit der Charaktere, welche Natürlichkeit und ſomit unendliche Tiefe der Darlegung innerſten menſchlichen Weſens! Tauche, o Dichter, deinen Griffel in die lebendige Farbe nationalen Dichtungsdranges, und drücke damit deinen Geſtalten ewig wahres und darum unverlöſchliches Gepräge ein!

Die Geſangsweiſe des Orientes, jener Weltgegend, aus der das Licht ſtammt und alles Schöne urſprünglich dem Menſchen zugekommen, die Geſangsweiſe des Orientes enthält ſolch herrlich tönende Myſterien in ſich, daß ſie geeignet iſt, der Tondichtung neue, nicht geahnte Welten zu eröffnen. Die ſüßmelancholiſche Sehnſucht und reizvolle Eintönigkeit aſiatiſchen Geſanges übt magiſche Gewalt über das Herz; und nicht umſonſt iſt der Sohn des Oſtens ſtolz auf ſeine Tonweiſen, indem er von ihnen behauptet, ſie umſtrickten unwiderſtehlich und mit nicht zu bannendem Zauber das Herz deſſen, der ſie gehört; daher auch die magyariſche Tonweiſe, als am nächſten mit der orientaliſchen verwandt, ſo glutvollpoetiſches, edles Leben aushaucht.

Blicken wir noch einmal nach rückwärts, und faſſen wir die hier dargelegten Ideen kurz zuſammen.

Der Tondichter hat nun, unſerer hier dargelegten Ueberzeugung gemäß, die Aufgabe, jede hiſtoriſch-dramatiſche Dichtung im nationalen Sinne aufzufaſſen, will er anders den Charakter ſeiner Gebilde bis auf die Tonfarbe vollenden; ſo daß er einen germaniſchen Stoff germaniſch, einen ungariſchen ungariſch, einen orientaliſchen orientaliſch u. ſ. f. in nationalcharakteriſtiſcher Geſangsweiſe darſtellt und färbt. Andererſeits darf, wie erwähnt, das, was wir Nationaloper nennen, ſich nicht innerhalb der engen Gränzen der Nationalität ergehen, inſoferne als Großes und Edles der ganzen Menſchheit als Eigenthum anheimfällt. Doch eben der Reiz allſeitiger Charakterfärbung iſt geeignet, ſolch ein Werk zum allgemein giltigen Dichtungswerke zu ſtempeln, indem die Tondichtung ſtets die eigenthümliche Farbe des nationalen Gemäldes beobachtet, hingegen, wo ſich allgemein menſchliche Regungen und Gefühle geltend machen, von jeglicher Localfärbung abſtrahirt, und ſich zur alleinigen Sprache menſchlicher Gefühle und Leidenſchaften ſtempelt, nur die innere Situation erfaßt, von der äußeren gänzlich abſehend. Denn die Empfindungen und Gefühle der Liebe, des Dankes, des Haſſes, der Sehnſucht, das Heer wogender Leidenſchaften ſind allgemeinmenſchliche Momente, jeglichem Individuum, allen Völkern gemein. In ſolchen Situationen nun kann von nationalmuſikaliſcher Charakterfärbung nicht die Rede ſein; hierbei zieht ſich die Tondichtung in ihr eigenſtes, idealſtes Reich zurück. Dieſer Grundſatz aber erſchließt der muſikaliſchen Behandlung dramatiſcher Charaktere neue Wege, neue Myſterien herrlichſter Dichtung. Die hiſtoriſche Oper feiert gleicherweiſe ihren höchſten Triumph, indem ſie, als rieſige Heldendichtung, durch Beſingung großer Thaten nationaler Geſchichte ſtets wieder zu Großem und Edlem aufrüttelt, entflammt und begeiſtert!

In vorliegender dramatiſcher Tondichtung hatte es der Verfaſſer mit der nationalmuſikaliſchen Charakteriſirung zweier Völker zu thun, die zwar in der muſikaliſchen Grundfarbe einander analog, doch im Colorit der Geſangsweiſe von einander abweichen; glücklich und zufrieden, wenn er, ſeinen hier ausgeſprochenen Ideen gemäß, ſeiner ſchwierigen Aufgabe einigermaßen gerecht geworden.

Und nun ſei ſchließlich erlaubt, noch einige Puncte über dramatiſche Tondichtung, unſeren eigenthümlichen Anſchauungen zufolge, in kurzen Worten zu berühren.

Was den Gang der Handlung in der hiſtoriſchen Oper betrifft, glauben wir meinen zu dürfen, daß ein Zuviel dramatiſcher Handlung darin nicht ſowohl am Platze, wie in der luſtigen oder drolligen Oper. Denn jene ſoll immerhin den Charakter und das Weſen ſtrengſten, erhabenſten Ernſtes an ſich tragen, und tragiſche Situationen zu großartigen Tongemälden ſtempeln. Schon das einzelne Individuum, um uns eines gewöhnlicheren Vergleiches zu bedienen, tritt in ernſten Momenten langſamer und gemeſſener auf, während der Fröhliche in raſtloſer Geſchäftigkeit ſich überſtürzend hin- und hereilt.

Daß Wort- und Tondichtung in der Oper einander würdig und ebenbürtig einherſchreiten müſſen, iſt eine ausgemachte, nothwendig empfundene und gefühlte Wahrheit. Denn die Wortdichtung iſt darin eben das der Tondichtung zu Grunde gelegte, wohl aus ſich ſelbſt motivirte Programm; nicht aber ſoll das Wort dazu dienen, beliebig erfundenen Geſängen zur Articulation zu dienen. Doch aber leuchtet die höhere Wichtigkeit der Tondichtung in der Oper daraus hervor, indem es ſich hierbei eben um die idealiſirende Tonfarbe handelt – indem ſich das geſprochene Wort zum geſungenen verhält wie etwa Lithographie zum Oelgemälde; denn ſonſt dichtete man kein dramatiſches Tongemälde, ſondern bloß geſprochenes Drama.

Ob in dramatiſcher Muſik Geſang oder Declamation, d. h. Melodie oder Recitativ, vorherrſchen ſolle, iſt unſeres Erachtens eine Streitfrage, wobei nur maßgebend wirken kann das ſubjective Gefühl und der individuelle Styl des Tondichters, der ſich ſtets nur durch die höhere Eingebung leiten läßt, und ihren Geboten unwillkürlich Folge leiſtet: »Est Deus in nobis, agitante calescimus illo.“ Genug, wenn die Tondichtung den Stempel dramatiſcher Kraft zur Schau trägt. Hier kann man mit Recht ſagen:

»Le stile c'est l'homme,“ und mit dem Dichter wünſchen: »Singe, wem Geſang gegeben . . . . . . . «

Der hohe dramatiſche Geſang weiſt die ſogenannte Coloratur zwar nicht zurück, wo ſie paſſend am Platze; allein ein Mißbrauch jener würdigt ſeine majeſtätiſche Einfachheit zur leidigen Geſangsproduction herab.

Profanation iſt es, dem Opernbuche, der Wortdichtung (bisher Text oder Libretto genannt) am bezüglichen Orte die »Arie, Recitativ, Duett, Terzett“ u. ſ. w. vorzuſchreiben; denn die Wortdichtung der Oper iſt ja eben das mit breiten Zügen entwickelte fortlaufende Drama in Worten – des Tondichters reizvolles Geheimniß iſt's, um das geſprochene Wort und die dramatiſche Situation die Polyphonie der hehren Tonwelt zu ſchlingen, oder den Einzelgeſang hervortreten zu laſſen, nach innerem Bedürfniſſe und fortlaufender Einheit.

Vorliegende Ideen hier kurz entwickelt zu haben, mag uns der Drang rechtfertigen, welcher einer individuellen und von eigenthümlichem Standpuncte ausgehenden Anſchauungsweiſe die geiſtige Pflicht auferlegt, zu ihrem eigenen Verſtändniſſe beizutragen.

Wir haben die Wortdichtung vorliegenden Werkes mit freier Benützung des Körner'ſchen Dramas gedichtet. Da nun ſelbes eine geſchichtlich erhabene Epiſode behandelt, und unſeren vorliegenden Ideen nach die bisherige Bezeichnung »Oper“ nicht mehr recht genügt, indem das Wort »Oper“ ſeiner hergebrachten Bedeutung und ſeinem Begriffe gemäß vom hohen Standpunctder Dichtung ſchon Manches zu wünſchen übrig läßt, und der darin enthaltene vulgäre Nebenbegriff das äſthetiſche Gefühl mit leiſem Drucke zu berühren anfängt – ſo möchten wir es gerne benannt haben ein „hiſtoriſch-dramatiſches Tongemälde“ oder eine »hiſtoriſch-dramatiſche Tondichtung“.

Der hierin enthaltene »Schlachtgeſang Zrinyis“, ſowie die zu jenem Choral geſungenen Worte:

»hört Ihr ſchmettern hell Drommetenklang, »Auf zum Kampf ruft Pfeif und Trommelſang; „Das ſind Schlachtgotts Töne, „Auf zum Kampf ruft er die tapfren Söhne, »Auf zum Kampfe, auf zum Kampfe, „Auf zum Kampfe!« (Nach des Verfaſſers freier Ueberſetzung.)

haben nationalhiſtoriſches Intereſſe, und tragen zur Charakteriſtik der Zeitepoche bei.

Indem wir uns ſchließlich in unwandelbarer Verehrung beugen vor den großen Meiſtern des muſikaliſchen Dramas aller Zeiten, ſei es uns hiermit erlaubt, auch nach unſeren Kräften einen Stein herbeitragen zu dürfen zum Baue jenes rieſigen Domes, den die fortdrängenden Zeiten dem Ewigſchönen aufthürmen ohne Unterlaß; jenem Ideal des Schönen, das ſeine Gebilde dem Dichter leiht, und deß ſtrenges Gebot an ihn ergeht, Begeiſterung zu ſtreuen für das Höchſte.

Es ſei uns gleicherweiſe geſtattet, vorliegende Tondichtung als einen Beweis unſerer Verehrung darzubringen und zu widmen der ritterlichen magyariſchen Nation, einem Volk von Helden, der Nation, die den chriſtlichen Leonidas zu ihren unſterblichen, weltrettenden Söhnen zählt – Niclas Zrinyi, den ſtrahlenden Namen, der des Dichters Phantaſie zu dichteriſcher Begeiſterung entflammt, – einer Nation, die eben durch und mit dieſem Namen für alle Zeiten verzeichnet hat auf ihrem Paniere die Worte der edelſten aller Geſinnungen: »Uneigennützige Aufopferung in unwandelbarer Vaterlandsliebe und Königstreue.“

v. Adelburg.


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Excerpts from reports about events near Sisak in 1593

Source:  Spomenici hrvatske Krajine: Od godine 1479 do 1610, Volume 1, edited by Radoslav Lopašić https://books.google.ca/books?id=tHLvuERLU...