ILLYRISCH-ALBAMSCHE
FORSCHUNGEN
ÜNTEB MITWIRKUNG VON PROFESSOR DR.
KONSTANTIN JIRECEK,
PROFESSOR DK. MILAN VON SUFFLAY,
SEKTIONSCHEF THEODOR
IPPEN, PROFESSOR E. C. SEDLMAYR, ARCHIVAR
DR. JOSEF IVANIC,
WEILAND EMMERICH VON KARACSON, K. UNO.
SEKTIONSRAT BELA
PECH UND KARL THOPIA
ZUSAMMENGESTELLT
VON
Dr. LUDWIG VON THALLÖCZY.
I. BAND.
MIT EINER LANDKARTE.
VERLAG VON DUNCKER & HÜMBLOT
MÜNCHEN UND LEIPZIG
1916.
Eine
Staatsschrift des bosnischen Mohammedaners
Molla
Hassan Elkjäfi „über die Art und Weise des Regierens".
A state book of the Bosnian Mohammedan
Molla Hassan Elkjäfi "on the way of governing".
Molla Hassan Elkjäfi "on the way of governing".
Von Emmerich v. Kardcson und Dr. Luswig v.
Thalloczy.
Der
bekannte ungarische Orientalist und Historiker weiland Dr. Emmerich von
Karacson fand in Konstantinopel in der Bibliothek der Bajazid-Moschee eine
bisher unveröffentlichte Staatsschrift des in Ak-Hissar (Bezirk Bugojno in
Bosnien) geborenen Mollas Hassan Elkjafi.
Karacson
übersetzte — mit Hinweglassung der Koranparaphrasen — dieses wirklich
interessante Memorandum ins Ungarische und versah seine Arbeit (Budapest, 1909.
Ausgabe des St. Stephan-Vereins) mit Kommentaren.
Die
Übersetzung ist mit dem Original genau verglichen und halt sich getreu an den
Text. Es ist überflüssig zu bemerken, daß diese Staatsschrift sowohl in
historischer wie in staatspolitischer Beziehung eine ganze Fülle von
interessanten Details bietet und lehrreiche Streiflichter auf die türkischen
Verhältnisse wirft.
- Thalloczy.
Das türkische Reich, erreichte unter der
Herrschaft des Siegers von Mohacs, Sultan Soliman, den Höhepunkt seiner Macht. Damals
aber begann auch sein Niedergang, dessen erste Erscheinungen sich gleich im
ersten Jahrzehnt nach dem Tode dieses großen Regenten zeigten.
Auf diese ersten Anzeichen des Verfalles
wies schon 1596 die Egerer (Erlau in Ungarn) Denkschrift Hassan Elkjäfis hin, die
Jahrzehnte hindurch nicht nur bei uns und überhaupt im Okzident, sondern, wie
es scheint, auch im Orient den Geschichtsschreibern völlig unbekannt war.
Molla Hassan Elkjafi wurde noch zu
Lebzeiten Sultan Solimans zu Ak-Hissar in Bosnien geboren. Er betrieb
theologische und juridische Studien, und legte über die letztern die
538
höchste Prüfung ab — daher sein Titel
Molla, was nach den
heutigen Begriffen ungefähr dem Doktor
juris entspricht. Einen
großen Teil seiner öffentlichen Tätigkeit
brachte er in der richterlichen
Laufbahn zu und kam zuerst an die Seite des
bosnischen
Kadi Bali Effendi. Im 986. Jahre der
Hedschra (1578) wurde
er zum Lohn für seine Verdienste Mülasim
(Richter-Stellvertreter).
Zwanzig Jahre weilte er in der Hauptstadt
Konstantinopel als
Beamter. 159b' nahm er im Gefolge Sultan
Mohammeds III. am
ungarischen Feldzug teil, und war bei der
Einnahme von Eger
(Erlau) und bei der Schlacht von
Mezökeresztes zugegen. Später
wurde ihm die Verwaltung seiner Heimat, des
Bezirks Ak-Hissar,
übertragen, und dort starb er 1616. ]
Er war ein Mann von außerordentlichem
Wissen und
frommen Lebenswandel ; 30 Jahre lang soll
er eine solche Selbstverleugnung
bewiesen haben, daß er nur alle drei Tage
Speise
zu sich nahm. Er hat zahlreiche
theologische und juristische
Schriften verfaßt." Vom Standpunkt des
Historikers ist jene kurze
Denkschrift — insbesondere da sie auch die
Ereignisse in Ungarn
berührt — für uns interessant, die er
1596 gelegentlich der
Einnahme von Eger schrieb.
Bei der Einnahme von Eger war nur der
arabisch geschriebene
Entwurf der Denkschrift fertig, den er in
Eger jenen
Mitgliedern des türkischen Staatsrats
unterbreitete, die im Gefolge
des Sultans daselbst anwesend waren. Die
Wesire und Räte
stimmten dem Entwurf bei und hießen ihn
gut, und über ihre
Anregung übersetzte er nach seiner
Heimkehr nach Bosnien sein
Werk in das Türkische, oder vielmehr, er
überarbeitete es in
türkischer Sprache, indem er die Egerer
Ereignisse hineinflocht.
In dieser Form legte er es, wie aus dem
Inhalt hervorgeht, dem
Sultan vor.
1 Die biographischen Daten stammen aus dem
Vorwort der Kopie
der Handschrift Molla Hassans, die nach dem
Tode des Verfassers angefertigt
wurde.
"- Diese islamitischen theologischen
und juristischen Werke habe
ich nicht durchforscht, ja überhaupt nicht
gesucht, da sie keinen historischen
Wert besitzen.
539
Auf die Konstantinopeler Handschrift hat
eine spätere Hand
den Titel geschrieben : Tarikh-i szefer-i
Egri ; das ist zu deutsch
:
Geschichte des Egerer Feldzuges. Und doch
erzählt die Handschrift
nicht einmal Einzelheiten des Feldzuges.
Vielmehr bot
die Einnahme von Eger dem Verfasser nur den
Anlaß, die Fehler
der türkischen Regierung aufzudecken und
Ratschläge zur Behebung
der dem Staate anhaltenden Gebrechen zu
erteilen. Er
hatte sein Werk auch gar nicht Geschichte
des Egerer Feldzuges
benannt, sondern ihm den Titel: „über die
Art und Weise
des Regierens" gegeben.
Wie Macchiavelli in seinem Buch „II
principe" für die
Fürsten die Grundsätze der Regierung
beschrieb, so zählt Molla
Hassan Elkjafi in seiner Denkschrilt die
Pflichten der Herrscher
auf. Aber seine Denkschrift ist tendenziös,
wie etwa Montesquieus
„Lettres persanes". Er stellt die
Bedingungen der guten
und richtigen Regierung des Staates dar und
leuchtet dabei
scharf die türkische Regierung heim, bei
der in allem gerade das
Gegenteil von dem geschah, was er als
Erfordernis einer guten
Regierung erkannt hatte. Und indem er
scheinbar rein theoretisch
die Anzeichen des beginnenden Verfalles
eines Staates beschreibt,
gibt er in Wirklichkeit ein Bild von dem
damaligen Zustande
der Türkei.
Hammer ' und nat-h ihm die übrigen
Orient-Historiker halten
für die beste und verläßlichste Quelle
über die Ursachen des
Niederganges des türkischen Reiches die
Schriften Kodschi2 Begs
aus der Zeit des Sultan Murad IV. (1632).
Die Denkschrift Hassan
Elkjäfis kannten sie nicht und doch sah das
scharfe Auge gerade
dieses bosnischen Schriftstellers schon
sechs Jahre nach dem Tode
des Sultans Soliman den Unterschied der
Zustände in der Türkei
vor und nach der Regierung Solimans. Er war
der erste, der
1 flammer-Purgsfcall, Geschichte des
osnianischen Reiches. Pesth,
1840. IL S. 349.
- Eine ungarische Übersetzung des Werkes
Kodschi Begs erschien
im zweiten Band der „Türkischen
Historiker" (Török törtenetirök) in der
Übersetzung Joseph Thurjs (Budapest, 180G.
Ausgabe derk. ung. Akademie).
Eine türkische Ausgabe erschien löijl im
Druck. Ebenso existiert eine
deutsche Übersetzung schon lange.
140
den Niedergang und den inneren Verfall der
Türkei schon damals
erkannte, als sie noch im vollen Ansehen
ihrer Macht in Europa
stand, Furcht und Schrecken verbreitete und
die Eroberungen,
insbesondere in Ungarn, noch weiter
ausdehnte.
Diese türkische Denkschrift behandelt die
von der arabischen
Philosophie über die Regierung der Staaten
aufgestellten Maximen
in klarem System und leicht verständlicher
Sprache. Sie stützt
sich dabei auf geschickt zusammengestellte
Zitate aus dem Koran
und aus den orientalischen Schriftstellern,
sowie auf treffende
Beispiele aus der Geschichte der
morgenländischen Völker.
Zur Erläuterung und Bekräftigung beruft
sich ihr Verfasser
ununterbrochen auf die Ereignisse seiner
Zeit, insbesondere in
seiner engern Heimat Bosnien und an den
kroatischen Grenzen.
Er klagt über die damalige Teuerung - im
Verhältnis zu den
früheren Zeiten, über die Indisziplin und
die Erpressungen der
Soldaten. Über die damaligen Zustände und
sozialen Verhältnisse
schreibt er an einzelnen Stellen ganz so,
wie ein moderner Autor.
Mit einzelnen Worten, die er gelegentlich
lallen läßt, liefert er
uns kulturgeschichtliche Daten : so erwähnt
er beispielsweise die
Kaffeehäuser als etwas neues, damals in
Entstehung begriffenes,
und fordert, daß sie von Soldaten nicht
besucht würden ; an einer
anderen Stelle bemerkt er, daß in Kroatien
und Bosnien den
feigen Kämpfern Frauenkleider zum Geschenk
gemacht wurden.
Da er bei der Einnahme von Eger und bei der
Schlacht
von Mezökeresztes zugegen war, weist er
auch wiederholt auf
diese Kämpfe hin und preist mit echt
orientalischer Phantasie
den Sieg der Türken bei Mezökeresztes als
etwas so großes, daß
„man bis zum jüngsten Tage unter den
Menschen davon reden
wird". Er erwähnt die antitürkische
Politik des siebenbürgischen
Fürsten Sigismund Bäthory und gibt der
Pforte zur Vermeidung
der Wiederholung solcher Vorkommnisse den
unmöglichen Rat,
für Siebenbürgen, weiterhin für die
Moldau und Walachei türkische
Begs an Stelle der christlichen Fürsten,
bezw. der Woiwoden
zu Gouverneuren zu ernennen.
Der Verfasser war ein eifriger
muselmanischer Patriot und
hoffte, dal.) mit der Thronbesteigung
Mohammeds III. — da dieser
541
die Feste Eger erobert hatte — eine neue
Zeit, ein neuer Kurs
beginnt, der den. Auflösungsprozeß der
Türkei zum Stillstand
bringen würde. Er empfahl hiezu in seinem
Werk Maßnahmen,
deren Verwirklichung die Türkei erst
heute, seit den allerletzten
Ereignissen in Angriff genommen hat.
Insbesondere für Bosnien beweist die
Denkschrift, daß die
Wurzeln der Unordnung in der Verwaltung
dort dreihundert
Jahre zurückreichten und daß auch trotz
der Vorstellungen, die
in der Egerer Denkschrift gemacht wurden,
die türkische Regierung
die Behebung der Mißstände versäumte, wie
dies die
spätem Ereignisse beweisen und was
schließlich im letzten Viertel
des vorigen Jahrhunderts die Intervention
des benachbarten Österreich-
Ungarns, respektive die Verwaltung und
Übernahme der
ganzen Provinz durch dieses notwendig
machte.
Den Text der Denkschrift teile ich hier
zugleich mit den
nötigen Erläuterungen mit
:
Im Namen Allahs des Gnädigen und
Barmherzigen .'
Lob sei dem mächtigen Helfer., mit dessen
Hilfe
Die Streitmacht des Glaubens gesiegt bat
und der Unglaube besiegt wurde!
Heil und Gross dem Propheten Allahs.
Der seine grossen Wunder hierin bezeugt
hat,
Auch seinen Genossen und seiner ruhmreichen
Heimat,
Weil er mit diesen zusammen die Säule des
heiligen Gesetzes wurde.
Dies ist die Zeit, in der der Schatten
Allahs, der Padischah,
der Sultan der Sultane von Rum, 1 Arabien,
Adschem, 2
der Khagan der über die Völker
herrschenden Khagane, der
Eroberer der Burg der ungarischen
Ungläubigen, der Schlichter
der Zwietracht unter den russischen und
siebenbürgischen Unzüchtern,
die feste Säule der Zeit und der Erde und
der erhabenste
unter den Sultanen des Hauses Osman, der
Einzige
der osmanischen Periode, der zweite Vater
der Eroberung, 3 der
1 Unter Rum oder römischer Boden verstehen
die alten türkischen
Schriftsteller die ganze Balkanhalbinsel.
- Adschem = Persien.
3 Die Türken nannten Mohammed IL, den
Eroberer von Konstantinopel,
Ab-ul-feth, d. i. Yater der Eroberung. Hier
spielt der Autor auf
die Eroberung von Egrv — Erlau in Ungarn
an.
542
siegreiche Sultan Mohammed 1 Khan, der Sohn
Sultan Murads, des
Sohnes Selim Khans, des Sohnes Sulejman
Khans, — möge Allah
sein Kalifat und sein Sultanat bis zum Ende
aller Zeiten erhalten
! — mit Glück, Ruhm und Heldenmut den
Erlauer Feldzug
2 unternahm.
Ich, der mit voller Hingabe für ihn bete,
bin ihm auf dem
erwähnten Feldzug mit der Absicht gefolgt,
ihm im Glaubenskampf
zu dienen und an seiner Statt zu beten. Und
bei jenem
glänzenden Sieg, auf dem großen
Schlachtfeld, im gesegneten
Kampf war ich zugegen und habe gebetet.
Lob und Preis sei Allah : als ich vorher in
Ak-Hissar in
stiller Einsamkeit, unter Reflektionen von
der Welt zurückgezogen
lebte, schrieb ieh über die Ordnung der
Welt ein nettes
kleines Buch, während dieses gesegneten
Feldzuges aber zeigte
und unterbreitete ich es den gelehrten
Ulemas der kaiserlichen
Umgebung, den Großwürdenträgern des Reiches,
den ruhmreichen
Wesiren, den Mitgliedern des Diwan. Da sie
ihm alle zustimmten,
und es guthießen, wurde es zufolge dieser
ihrer Zustimmung in
die türkische Sprache übersetzt, da sie
der Meinung Ausdruck
gaben, daß seine Unterbreitung 3
vorteilhaft sein werde.
Mit Gottes Hilfe wurde das Buch in
türkischer Sprache
verfaßt und erläutert und ich habe es in
sehr klaren und einfachen
Ausdrücken niedergeschrieben. Die Umgebung
des Sultans
und die Mitglieder des Diwan können mit
Leichtigkeit daraus
Nutzen ziehen, und wenn sie demgemäß
handeln, werden sie in
dieser Welt mit Gottes Hilfe erfolgreiche
Arbeit, wohltätige
Klarheit und Segen schaffen.
Lob und Dank Dir Allah, der Du in Wahrheit
der König
der Könige bist, und dem Länder schenkst,
den Du auserwählst,
1 Mohammed III.
2 In der Handschrift: JUO;^a.j o^V-£
<V»^.ä^ ^5^1 Den Krieg
des Jahres 1596 nennen die türkischen
Historiker Egerer Feldzug, weil
dessen wichtigster Erfolg die Eroberung von
Eger war. S. Naima, Tarikh [.
Seite 139 der Konstantinopeler Ausgabe
1863.
Meine Absicht ist, ihn zu lobpreisen,
Vielleicht wird nieine Schrift lobwürdig,
wenn ich ihn beschreibe.
3 Er unterbreitete das Werk dem Sultan.
543
und sie dem nimmst, dem Du willst! Heil und
Segen Dir Mohammed
dem Propheten, dem Obersten der Propheten
!
Erhabener Gott ! hilf Deinem Knecht aus
Ak-Hissar bei
seinem Werk, denn er bedarf Deiner Hilfe,
und bewahre ihn
vor Schande.
Die im Jahre 1004 1 nach der Flucht des
Propheten in
der Ordnung der AVeit eingetretenen
Störungen und die in den
Angelegenheiten der Menschen, insbesondere
im islamitischen
Reich sich zeigenden Übelstände und
Wirrsale möge Allah abwenden
und den islamitischen Ländern zur Wohlfahrt
verhelfen
bis zum Tag der Auferstehung.
Als ich hiefür eines Nachts die im
Sünnet'-' vorgeschriebenen
Gebete verrichtete, wandte ich mich in
meinem Herzen
zu Gott, dem Schöpfer des Himmels und der
Erde, um den
Grund dieser Wirrsale zu erfahren. Und
durch die Eingebung
der Gnade des erhabenen Gottes gelang es
mir auch, diesen
zu erkennen. Allah der Gerechte wendet
seine Gnade niemals
von einem Volk, solange die Taten dieses
Volkes sich nicht in
eitle Taten verwandeln, und solange das
Volk die Gerechtigkeit
in allen seinen Taten bewahrt.
Seit zehn Jahren, ja sogar schon seit
längerer Zeit wende
ich meine Aufmerksamkeit den Ereignissen
zu. In den seit dem
Jahre 980 3 vorgefallenen komplizierten und
verworrenen Vorgängen
habe ich einigen Grund entdeckt.
Erster Grund. Im Verhältnis zu den
früheren Zuständen
zeigte sich Lässigkeit in der Übung der
Gerechtigkeit, in der
Regierung hingegen Sorglosigkeit. Diese
Sorglosigkeit hat zur
1 1596 nach christlicher Zeitrechnung.
- Die Gesamtheit der vom Propheten befolgten
Gebräuche, die hei
den Sunniten Gesetzeskraft besitzt. Die
Gebräuche sind unter dem Namen
oJL*. bekannt.
3 1572 nach Christi Geburt. Der Niedergang
des türkischen Reiches
begann schon in diesem Jahre. Hammer
rechnet den Beginn des Niederganges
etwas später, von der Thronbesteigung
Murads III. an. Siehe
seine Geschichte des osmanischen Reiches.
Pesth, 1840. II. Seite 438.
r>l!
Folge, daß die Regierungsgeschäfte
ungeeigneten und unfähigen
Menschen anvertraut werden.
Zweiter Grund. In den Beratungen wurde von
der richtigen
Meinung abgewichen, die Vornehmen wurden
selbstgefällig und
zogen sich von der Berührung mit den
Ulemas und andern
verständigen Leuten zurück, ja wenn von
diesen jemand zu
den Beratungen erscheint, sehen sie ihn mit
Verachtung an.
Wo ist die Zeit, wo die großen Vorfahren
die Ulemas aufsuchten,
um von ihnen die richtige Meinung und die
Weisheit
zu lernen ?
Dritter Grund. In der Leitung und Zucht des
Heeres
herrscht Sorglosigkeit, als deren Folge in
den Gefechten von
den Waffen nicht der rechte Gebrauch
gemacht werden kann.
Die Soldaten fürchten ihre Serasker nicht
und ehren sie nicht
besonders.
Schließlich ist der letzte Grund aller
dieser Gründe die
Bestechlichkeit, die Geldgier und die Sucht
nach Weibern, nach
deren Worten man sich richtet.
Als ich diese Gründe erkannt hatte, bat
ich unter Tränen
Allah um Hilfe und unter Klagen über die
Wirrsale unserer
Zeit, erflehte ich Aufklärung von Allah.
Allah gab mir den
Gedanken ein, ein kleines kurzes Buch zu
schreiben über die
Ordnung der Welt, ein Büchlein, das nur
wenig Worte, aber
in diesen wenigen Worten um so tieferen
Sinn enthalten und
bei der Neuordnung der Gesetze der Welt als
Wegweiser dienen
solle. Ich fand es zweckmäßig, dies Buch so
zu schreiben, daß
es die wahren Worte der Weisen enthalte.
Die Worte der weitblickenden Menschen
enthält also dies
Buch, denn ich habe es aus den Schriften
der alten Ulemas,
aus den Büchern der Weisen und Großen
zusammengestellt. Vor
allem aber aus den Büchern
Envar-ül-tensil 1 undRausat-ül-ulema, 2
1 JUvÄjJI ^U-sf (herabgestiegenes Licht).
So nennen die Muselmanen
den Koran.
- l^Lxh &*C%J (Garten der Gelehrten).
Unter diesem Namen
kommen mehrere arabische Werke vor, und so
ist es schwer zu bestimmen,
welches der Verfasser benützt hat.
545
weiter aus dem Tefsir-i-Kadi. ' das man
auch Envar-i-tensil nennt,
und aus dem Rausat-ül-akhbar,'~ das ein
Auszug aus dem Buch
Rebi-ül-ebrar 3-Zakmakhsaris4
ist und auch Rausat-ül-ulema genannt
wird und aus mehrern andern vorzüglichen
Büchern
dieser Art.
Möge Allah dies Buch erhöhen und Gnade und
Hilfe den
Pcidischalis. Ausdauer auf dem Wege der
Standhaftigkeit den
Wesiren verleihen, die Klugen zu Führern
machen, den Armen
a!>er Unterstützung und Barmherzigkeit
angedeihen lassen.
Die Methode der Regierung 5 nannte ich dies
Buch und
schrieb es unter Erläuterung des Buches
„Die Ordnung der
Welt" 6 nieder.
Das Buch besteht aus einer Einleitung und
vier Kapiteln.
Die Einleitung stellt die Ursachen der
Ordnung der Welt dar.
Die Ursache der Ordnung der Welt ist, daß
Gott deren
Bestehen so lange will, als es nur Menschen
geben wird, d. h.
bis zum Tag der Auferstehung. Die Menschen
untereinander
bedürfen gewisser Gesetze, weil sie
miteinander viele böse Angelegenheiten
haben, um diese in Ordnung besorgen zu
können.
Die Menschen sind nach ihrer Beschäftigung
viererlei: 1. Männer
des Schwertes, 2. Männer der Feder, 3.
Ackerbauer, 4. Hand-
Averker und Kaufleute. Alle diese
beherrscht der Padischah,
Emir oder ein anderer.
Die erste Klasse ist die der
Selr/certtragenden. In diese
Klasse gehören die Padischahs, Wesire,
Beglerbegs, Begs und
andere solche Führer und Soldaten. Ihre
Pflicht ist, den Feind
fernzuhalten, den Frieden und die Ruhe zu
bewahren.
1 c^^ w»*v,A-i (Die Erläuterungen des
Kadi), der Korankomnientar.
2 >La.ä> jJf &«^0 (Garten der
Botschaften). Auch unter diesem Titel
gibt es mehrere arabische Werke.
3 ^L.>jJf f+lj (Frühling der Gerechten).
4 Zamakhsari war ein arabischer
Schriftsteller.
5 -vX.-^ J%^f zu deutsch : die Methode der
Regierung.
6 friljdf -»Lih-i zu deutsch : die Ordnung
der Welt.
35
546
Die zweite Klasse bilden die Männer der
Feder, zu denen
die Ulemas, die Gelehrten und die betenden
andächtigen Männer
gehören, die zum Krieg nicht geeignet sind,
sich aber mit Gebet,
Andacht und Wissenschaft beschäftigen. Ihre
Aufgabe ist es,
Bücher zu schreiben, die Befehle des
Scheriats' durch das Wort
zu verkünden und zu bewahren. Ihre Pflicht
ist es, Ratschläge
zu erteilen, die Religion zu lehren und
Liebe zu ihr zu erwecken,
für das ganze Volk zu beten und den
Padischah zum
Guten anzuleiten. Der Padischah ist im
Reich das, was im
Körper das Herz ist. Wenn das Herz gesund
ist, dann wird
der ganze Körper gesund sein.
Die dritte Klasse gehört den Ackerbauern.
Diese nennt man
Raja und Beraja2 und ihre Beschäftigung ist
der Bau von Getreide,
Obst und Wein und die Viehzucht. Die Arbeit
dieser
Klasse ist vor allem notwendig und neben
der der Gelehrten
und Krieger die vornehmste.
Die vierte Klasse ist die der Handwerker
und Kaufleute.
Diese sind ihrer Beschäftigung nach sehr
verschieden.
Jedermann muß einer dieser vier Klassen
angehören, damit
nicht Elend eintrete, deshalb sagten einige
der alten Weisen,
daß alle, die ohne Arbeit leben und keiner
Klasse angehören,
als unnütz getötet werden sollen, da sie
den übrigen nur zur
Last fallen. Zu Zeiten der alten Sultane
wurden diese alljährlich
zusammengesucht und ausgewiesen.
Insbesondere in den Häfen
wurde darüber gewacht und verhindert, daß
solche Araber Rums
Boden betreten. Dies ist der Grund, weshalb
auf dem Gebiet
Rums in den alten Zeiten Wohlstand und
Überfluß herrschte.
Auch jetzt ist es nötig, die
Beschäftigungslosen auszuweisen.
Jede Klasse aber befasse sich eifrig mit
ihren Angelegenheiten
und gehe nicht müßig, denn das
widerspräche der Ordnung
und verursachte Störungen. Auch solle man
nicht die
1 Scheriat, das niusemianische Gesetz.
2 Raja sind christliche Untertanen der
Türkei, die kharadsch (Steuer)
oder — wie man zur Zeit der türkischen
Herrschaft in Ungarn sagte —
,
Haratsch zahlen mußten. Beraja sind die
muselmanischen Ackerbauer,
die bloß Zehent zahlten.
Öl-
Angehörigen einer Klasse zur Ausführung
der Beschäftigung
der andern Klasse zwingen, denn daraus
entspringt nur Übel
und Unordnung. Wenn die Ackerbauer und
Gewerbetreibenden
gezwungen werden, die Waffen zu ergreifen
und in den Krieg
zu ziehen, dann ist niemand da, der den
Boden bebaut, und aus
Mangel an Getreide, Obst und Haustieren
tritt große Teuerung
ein. Daher kommt es, daß man heute 10 Akcse
für etwas zahlen
muß, was früher 1 Akcse kostete, ja daß es
sogar für 10 Akcse
nicht erhältlich ist. Wenn man die
Bevölkerung der Städte zum
Kriegsdienst zwingt, lockert sich die
Disziplin, denn diese Soldaten
werden lässig sein.
Früher war dies auch anders; aber seit
1001 1 bis jetzt,
insbesondere in Kroatien und Bosnien, wo
ununterbrochen Krieg
herrschte, schickten die Serasker alle
Jahre ihre Leute in die
Wilajets und führten die
ackerbautreibenden Raja und die Bewohner
der Städte, die Handwerker, mit Gewalt in
den Krieg,
und so blieben die Acker unbebaut, in den
Dschamiks der Städte
blieben keiner Beter, und Not und Elend
erhob das Haupt. Aber
auch kriegerischen Mut besaßen sie nicht,
sondern flüchteten. 2
Ein solches Vorgehen verursacht Unordnung,
schwächt
das Reich und bewirkt den Untergang des
Sultanats. Möge Allah
das islamitische Volk und das osmanische
Reich vor solchem
Wirrsal behüten
!
Erstes Kapitel.
Die erste Grundlage und Säule der Regierung
der Reiche
ist die Gerechtigkeit, denn nur diese
erweckt Vertrauen.
Allah sagt im Koran: „Allah befiehlt mit
Gerechtigkeit
und Gnade" : d. h. Gerechtigkeit
üben, ist Gnade üben.
Der Prophet hat gesagt: „Mit drei Dingen
hat Allah den
Himmel geziert : mit der Sonne, dem Mond
und den Sternen
:
1 Nach christlicher Zeitrechnung vom 7.
Oktober 1592 bis 26.
September 1593.
2 Der Verfasser meint den Sieg Thomas
Erclödys und seiner Genossen
bei Sisek. Beschreibung dieser Schlacht s.
G. Gömöry Hadtört.
Közl. (Kriegsgeschichtliche Mitteilungen).
Jahrgang 1894, Seite 613.
35*
548
ebenso gereichen auch der Erde zur Zierde
die Ulemas, der
Prophet und der gerechte Sultan." Der
Prophet sagte weiter:
„Die Gerechtigkeit ist eine größere Gewalt
in der Hand des
Padischah, als selbst die Religion. Die
Gerechtigkeit ist die
Stärke Padischah."
Padischah Erdeschir1 hat gesagt: „Wenn sich
der Padischah
von der Gerechtigkeit abwendet, wendet sich
auch das
unter der Herrschaft dieses Padischahs
stehende Volk vom Gehorsam
ab, es neigt zum Aufruhr." Gleichfalls
von Padischah
Erdeschir wird erzählt, er habe gesagt:
„Der Padischah besteht
nur durch Männer, durch Soldaten. Soldaten
kann man nur mit
Geld halten. Geld kommt nur aus blühenden,
reichen Wilajets.
Ein blühendes, reiches Wilajet entsteht
nur durch gerechte, gute
Regierung." Das Wesen dieser Rede ist
also, daß der Padischah
nur durch Gerechtigkeit besteht;
Gerechtigkeit aber wird nur
durch gute Regierung.
Man hat gesagt: „Nur der Ort wird blühn,
wo der Padischah
Gerechtigkeit übt. Die Macht und das
Ansehen des Padischah
ruht in der Gerechtigkeit." Jezdedserd
2 hat einmal einen
Weisen gefragt: „Wodurch gelangt der
Padischah und das Land
in eine gute Lage?" Der Weise
antwortete: „Durch Wahrung
der Gerechtigkeit, wenn unter den Rajas
Gesetz und Gerechtigkeit
herrscht ohne Ausnahme." Der Padischah
erweckt Liebe
durch die Gerechtigkeit und wenn er im
Wilajet die Sicherheit
der Wege aufrecht erhält und die
Bedrückten gegen ihre Tyrannen
schützt.
Emir-ül-Abdallah bin Tahir fragte einen
Ulema-Scheik
:
„Wie lange wird unsere Herrschaft
dauern?" — Der Scheik
antwortete: „Solange Gerechtigkeit besteht,
wird auch die Herrschaft
stark bleiben."
Durch Sorglosigkeit geht das Reich
verloren. Ein Padischah
ist sorglos: 1. wenn er in Genuß und
Vergnügen versinkt,
1 yfrüiöy (Erdeschirr) war der persische
Herrscher Artaxerxes.
- cXj.ä.uVl:ä (Jezdedserd). mehrere
Herrscher aus dem Hause der
Sassaniden.
549
2. wenn er die Gelegenheit versäumt. — Ein
kluger Mann hat
einmal gesagt : „Die Klugheit ist der beste
Reiter, die Gerechtigkeit
der beste Wächter." — Man hat gesagt :
„Die Gerechtigkeit
ist eine starke Burg auf der Spitze eines
hohen Berges, die durch
die Sturmflut nicht fortgerissen, durch die
Kugeln der Mendschenik-
Kanone * nicht zerstört werden kann."
Der Kern dieser Rede ist, daß der gerechte
Padischah von
seinen Feinden nicht besiegt werden kann,
denn Allah verleiht
ihm seine Hilfe.
Von Padischah Nuschirvan" wird
erzählt, daß als er starb,
sein Sarg im Lande herumgetragen wurde, ob
etwa jemand eine
Klage gegen ihn hätte ; es fand sich aber
im ganzen Land
niemand, der eine Klage wider ihn hatte,
solch ein gerechter
Herrscher war er. Dies kann den islamitischen
Padischahs zum
Beispiel dienen, daß sie gerecht seien,
denn Nuschirvan war ein
Feueranbeter und Ungläubiger.
Wenn der Padischah gerecht herrschen will,
vertraue er
nicht alles seinen Leuten an, denn wenn er
alles auch geeigneten
Leuten anvertraut, so verdirbt er
schließlich deren Herz.
Wirrsale Und Unordnungen in den
Angelegenheiten des Padischah
aber stammen vor allem daher, wenn er seine
Angelegenheiten
nicht entsprechenden Leuten anvertraut,
denn für den
Padischah sind einige tausend gelehrte und
kluge Männer noch
wenig, ein einziger Feind aber viel. Der
alte beredte Dichter
Ibn-Rumi sagt : „Tausend gute Freunde sind
für einen Menschen
nicht zu viel, aber ein einziger Feind ist
zu viel."
Der Prophet sagt: „Wenn ein Fürst einem
(ungeeigneten)
ein Amt verleiht, obgleich unter seiner
Herrschaft die geeignetsten
Menschen leben, so begeht dieser Fürst
Verrat an Allah,
seinem Propheten und dem muselmanischen
Volk." Wenn die
Verworfenen zur Herrschaft gelangen,
beginnt für die Gerechten
die Zeit der Leiden und des Unglücks.
1 t<frAA^\«yo (Mendscbenik), eine Kanone
alter Art, die Steinkugeln
.schoß.
- (o'jr*^ (Nuschirvan), ein persischer
Herrscher mit dem Bei550
Die Herrschaft des Hauses der Sassaniden 1
war deshalb so
reich an Wirren und es verlor das Sultanat
aus dem Grunde
weil es große Dinge kleinen, d. h.
verdienstlosen und unfähigen
Männern anvertraute.
In diesem Beispiel liegt in Bezug auf die
jetzige Zeit eine
ernste Warnung für das Haus Osman, dessen
Sultanat Allah
ewig erhalten möge ! Die Warnung ist die,
daß die höchsten
Amter hervorragender, seit langem im Dienst
der Pforte stehenden
Männern anvertraut werden mögen, denn wenn
sie unfähigen
anvertraut werden, bringt es nur Gefahr.
Dann ist es notwendig, daß der Padischah
sich kluge,
ehrliche und in der Leitung der Geschäfte
bewanderte Wesire
wähle. Wenn der Wesir gut und geeignet ist,
dann werden auch
die Angelegenheiten des Padischah gut stehn
und alle Dinge
werden in Ordnung sein. Wenn aber der Wesir
schlecht ist, dann
werden auch die Angelegenheiten des
Padischah in Verwirrung
geraten. Wenn sich Allah einem Padischah
gnädig erweist, dann
gibt er ihm einen guten Wesir. Wenn der
Padischah eine wichtige
Angelegenheit vergißt, bringt sie ihm ein
solcher Wesir in
Erinnerung, und wenn der Padischah etwas
wünscht, hilft ihm
der Wesir es ausführen. Wenn Allah aber
einem Padischah kein
Wohlwollen erzeigt, dann gibt er ihm einen
nichtswürdigen Wesir,
der den Padischah nicht erinnert, wenn er
etwas vergißt, und
der nicht bestrebt ist auszuführen, was
der Padischah will. Man
sagt : „Frage nicht, wer und wie der
Padischah sei, sondern sieh,
wer und wie sein Wesir ist, denn so wird
auch der Padischah sein."
Iskender2 hatte lange Zeit hindurch einen
Wesir. Der erinnerte
ihn an nichts. Eines Tags sprach Iskender
so zu dem
Wesir : „Ich bedarf deines Dienstes nicht,
weil auch ich ein Mensch
bin, Menschen aber in so langer Zeit viele
Fehler begehen, viel
vergessen, und wenn du in so langer Zeit
meine Fehler, meine
Vergeßlichkeit nicht bemerkt hast, bis du unwissend
und dumm
;
wenn du sie aber bemerkt und dazu
geschwiegen hast, dann bist
1 .wLvj Jf (Al-i Sassan), die
Sassan-Dynastie in Persien.
- Iskender = Alexander der Große.
551
du niedrig und verräterisch, denn du warst
nicht aufrichtig ; du
bist also keinesfalls des Wesirats
würdig." Der Herrscher braucht
einen solchen Wesir, der ihm aufrichtig und
klug dient.
Es ist nötig, daß der Padischah die Ulemas,
die Frommen,
hochachte und ihr Herz durch Güte gewinne,
daß diese ihm
wiederum mit Gebet und gutem Rat helfen.
Ihren Worten soll
er vor denen anderer Glauben schenken, denn
die Ulemas kennen
kerne Verschlagenheit und Hinterlist, und
man konnte bisher
nicht hören, daß sie den Padischah jemals
irgendwie betrogen
hätten, denn die Ulemas sind die Nachfolger
des Propheten, die
dem Heil in dieser und in jener Welt
dienen, wie die Propheten.
In jedem Jahrhundert sind die Ulemas die
Propheten des betreffenden
Jahrhunderts.
Es ist gesagt worden: ..Diese Welt besteht
in Wahrheit
durch vier Dinge: 1. durch die Wissenschaft
der Ulemas, 2. die
Gerechtigkeit der Padischahs, 3. das Gebet
der Frommen, 4. die
Wohltätigkeit der Freigebigen." Der
Prophet hat gesagt, das
Angesicht der Ulemas zu betrachten sei
schon Gebet. Der Prophet
hat gesagt, dal.» die von den Gelehrten gebrauchte
Tinte beim
jüngsten Gericht dem Blut der Märtyrer
gleich sein werde. Es
ist gesagt worden: „Das ist ein guter
Padischah, der in der Versammlung
der Gelehrten erscheint, aber das ist ein
schlechter
Gelehrter, der ohne Not in der Versammlung
der Padischahs
nnd Begs zugegen ist."
Der Padischah soll in dem unter seiner
Herrschaft stehenden
Volk Ehrfurcht erwecken ; dies aber
erreicht er durch fünferlei
Eigenschaften: 1. er erhebe die
Ausgezeichneten; 2. er erbarme
sich der Schwachen ; 3. er helfe den
unterdrückten Waisen
;
4. er halte die Bosheit des Feindes fern ;
5. er sichre die Wege
der Ii eisenden. Nur ein solcher Padischah
gewinnt das Herz
seiner Untertanen, der diese Eigenschaften
in sich vereinigt.
^ eiter sei der Padischah freigebig und
gutherzig gegen seine
Untertanen aus allen Klassen, denn er
verbindet sie sich dadurch.
Seine Gnade und Güte beschränke sich nicht
auf eine Klasse, denn
das Reich des Padischah setzt sich aus
Menschen aller Berufe
zusammen, wie wir es am Anfang des Buches
gesagt haben.
552
Man hat gesagt : „Der Mensch ist der Diener
seines Wohltäters."
Imam Safi hat gesagt: „Mit Güte kannst du
freien
Menschen den Fuß auf den Nacken setzen. Wer
Gefälligkeiten
erweist, macht ein gutes Geschäft, denn er
beugt den Nacken
eines von ihm unabhängigen Menschen, d. h.
er macht ihn durch
seine Güte zu seinem Sklaven." Ali
hat gesagt: „Der größte
Schatz ist die Liebe der Herzen/'
Wer sein Vermögen verbirgt, verliert die,
die ihm helfen
könnten, oder: wer vor seinen Soldaten sein
Geld verbirgt, dem
helfen seine Soldaten nicht. Iskender wurde
gefragt: „Warum
sammelst du nicht Schätze, wie die übrigen
Könige?" Iskender
antwortete: „Mein Schatz sind meine
Soldaten."
Wer nicht Gutes tut, wird keine Brüder
haben, niemand
wird ihm helfen. Die Wohltätigkeit trägt
dem Menschen Ansehen
ein. Der große Dichter Abul-Taib hat
gesagt: „Zu welchem Ende
sammelst du Geld? Du kannst damit deinen
Freunden Gutes.
deinen Feinden Schaden bereiten."
Ebenderselbe hat gesagt:
„Vier Dinge erheben den Menschen zu hoher
Stufe : 1. die
Wissenschaft, 2. die Sanftmut, 3. die
Wohltätigkeit, 4. die Freigebigkeit."
Der ausgezeichnete Dichter Jessi hat
gesagt: „Wenn
ein Padischah nicht freigebig ist, meide
ihn, denn gar bald wird
die Herrschalt seiner Hand entfallen."
Wer mit seinem Geld freigebig ist, dem
neigt sich das
Volk zu. Das Geld kann für den Menschen
zum bösen Geist
werden, denn wer mit ihm nicht Gutes tut,
hat keine prüder
und Freunde.
Wer große Sorgen hat, scheint den Augen des
Volkes groß.
Im Verhältnis zu den andern Menschen ist
der Padischah so,
wie der Berg im Verhältnis zu andern Orten.
Der Padischah sei
sanftmütig, nicht jähzornig. Er sei
geduldig, und wenn er hört,
daß jemand gegen ihn gesprochen habe, eile
er nicht zu strafen,
denn sonst vertraut ihm niemand, sondern
alle verachten und
fürchten ihn. Wenn der Padischah den Thron
nach seinem Vater
besteigt, ehre er die Freunde und Wohltäter
seines Vaters, denn
Freundschaft und Haß werden auch vererbt.
Der Sohn des
Freundes wird Freund, der Sohn des Feindes
wird Feind sein.
553
Dies Kapitel wird zeigen, wie der Padischah
dem Land
Schaden zufügt.
Die Anzeichen für den Niedergang eines
Padischah, oder
des Unglückes eines Padischah sind : Wenn
er die Jungen und
Unüberlegten zu Wesiren und zu seinen
Gelahrten macht: Avenn
er seine Freunde erbittert; wenn die
Einhebung und Manipulation
der Steuern ungeordnet ist; wenn er
niemanden in seine
Nähe läßt und von niemanden einen Rat
annimt oder erbittet,
sondern sich ganz seiner Laune überläßt;
wenn er aufhört, die
Ulemas zu ehren, denn dadurch verbreitet
sich die Unwissenheit.
Dem Thron des Padischah bringen drei Dinge
Gefahr;
1. wenn der Padischah in Genuß versinkt und
seine Pflichten
vernachlässigt ; 2. wenn die Wesire gegen
einander Neid hegen,
denn dann handeln sie naturgemäß gegen
einander ; 3. wenn das
Heer den Zusammenstoß mit dem Feind
fürchtet und man gegenseitig
die Ratschläge nicht beachtet.
Die Anzeichen des Verderbens für das
Sultanat sind : Wenn
die Anordnungen der Gesetze nicht erfüllt
werden; wenn die
Soldaten zu erpressen anfangen und man
ihnen nicht Einhalt
gebietet. •
Wenn unter der Herrschaft eines Padischah
solche Zeichen
sich ereignen (auftreten), ist es nötig,
daß die Wesire und Ulemas
dem Padischah sofort Meldung erstatten und
ihm sagen, was zu
tun sei. Der Padischah aber versäume nicht,
seine Verfügungen
zu treffen, denn wenn er lässig ist, trifft
Schaden das Sultanat
und das Unglück kommt über das Reich.
Wenn sich die Zeichen
solcher Ubelstände zeigen, trachte man
gleich, sie zu beheben,
denn wenn sie übermächtig werden und
erstarken, wird es schwer
fallen, sie zu beheben.
Ibn-Abbas sagt: „Zu den Anzeichen des
jüngsten Gerichts
gehört, daß das Volk das Gebet
vernachlässigt imd sich der
Sinnlichkeit ergibt." Auch das sind
Anzeichen des jüngsten Gerichts,
wenn der Padischah ein Verräter, die
W'esire ausschweifend
sind. ALs der Prophet hievon einmal sprach,
sprang Suleiman
von seinem Sitz auf und sagte: „Vater.
Mutter seien dir geweiht,
oh du Prophet Allahs, wird dieser Zustand
wirklich eintreten ?"
55
!
Der Prophet entgegnete: „Ja, oli Suleiman!
dies wird eintreten
und dann wird das Herz des Gläubigen dem im
Wasser aufgelösten
Salz gleichen, denn es wird vor Kummer
schmelzen."
Suleiman sagte voll Erstannen: „Muß dies
geschehen?" Er antwortete
: „Gewiß ! und diese Zeit wird für die
Gläubigen die Zeit
der Leiden sein."
Allah ! laß nie diese Zeichen im starken
osmanischen
Reich eintreten.
Zweites Kapitel.
Die zweite Grundlage des Reiches ist die
Beratung. Allah
sprach im Koran so zum Propheten: „Handle
in allen Dingen
nur auf Grund von Beratungen." Dies
wollte Allah aus dem
Grunde, damit jener in großen Dingen mit
den Ulemas, Weisen,
erfahrenen Männern, mit den Großen des
Reiches Rat pflege.
Der Prophet hat gesagt: „Wer sich berät,
dem ist schon
geholfen." Omar hat gesagt: „Ein Volk,
das keine Beratungen
abhält, findet in seinen Angelegenheiten
den rechten Weg nicht."
Suleiman hat zu seinem Sohn gesagt: „Mein
Sohn! Entscheide
dich in einer Angelegenheit nicht, so lange
du dich nicht mit
verständigen Männern beraten hast, denn nur
dann, wenn du
auf Grund von Beratungen handelst, wirst du
nicht in die Enge
geraten." Man hat gesagt: „Zuerst bete
und erflehe dir Gutes,
dann halte Rat, damit du keinen Fehler
begehest." 1
Hassan hat gesagt: „Die Menschen sind
dreierlei:
1. ganze Mensehen, 2. halbe Menschen, 3. keine Menschen. Ein ganzer Mensch ist, wer selbst klug ist und doch auch Rates pflegt. Ein halber, wer klug ist, aber nicht Rat hält. Kein Mensch, wer weder selbst klug ist, noch Rat hält."
1. ganze Mensehen, 2. halbe Menschen, 3. keine Menschen. Ein ganzer Mensch ist, wer selbst klug ist und doch auch Rates pflegt. Ein halber, wer klug ist, aber nicht Rat hält. Kein Mensch, wer weder selbst klug ist, noch Rat hält."
In allen Dingen ist Beratung von Nöten.
Auch der Klügste
bedarf der Meinung anderer, wie auch das
beste Pferd die Peitsche
braucht und wie die frömmste Frau nicht
ohne Mann bleiben
kann. Jeder sieht mit seinen Augen die
nächsten und entferntesten
Dmge, aber sich selbst sieht er nicht,
sondern nur
1 Hier folgt ein arabisches Gebet, das
nicht zum Gegenstand gehört
555
mit Hilfe eines Spiegels : so bedürfen
auch die, die anderen Ratschläge
erteilen, in ihren eigenen Angelegenheiten
des Rates.
Wenn Omar einer schwierigen Sache gegenüberstand,
berief er
die Helden und beriet sich mit ihnen und
pflegte zu sagen, daß
der Geist der Helden scharf sei.
Dein Geheimnis teile nur einem der Weisen
mit, ihrer
tausend aber ziehe in deine Beratungen. Der
Weise der Hindu
sprach so: „Mit Klugheit kann man
erreichen, was man mit
Gewalt und mit Soldaten nicht erreichen
kann." Der Kalif Mansur
sprach so zu seinem Sohn: „Zwei Dinge
hinterlasse ich dir, mein
Sohn: 1. Unüberlegt sprich nie ein Wort;
2. tu nichts, ohne
das Ende zu bedenken." Man hat gesagt:
„Der kluge Gedanke
erreicht mehr, als das Schwiert. Im Krieg
gilt ein Kluger mehr,
denn tausend Reiter; denn ein Reiter tötet
höchstens zehn bis
zwanzig Feinde, ein Kluger aber vernichtet
ein ganzes Heer.
Im Kampf nützt List mehr als Kraft."
Man hat gesagt: „Vertraue
deiner Verschlagenheit mehr, als deinem
Heldenmut. Zuerst
der Plan, dann der Mut."
Lokman der Weise sagte : „Mein Sohn, berate
dich mit
erfahrenen Männern." Iskender sagte:
„Wenn die gute Meinung
auch von einem Mann niederer Herkunft stammt,
verachte sie
dennoch nicht. Die echte Perle verachtet
auch niemand deshalb,
weil der Taucher, der sie entdeckt und
heraufgebracht hat, ein
Mann niederer Herkunft war." Von wem
immer ein wahres
AA ort kommen mag, man muß es anhören.
Dies Kapitel handelt von den Dingen, die
einen guten Plan
verderben.
Drei Dinge verderben den guten Plan: 1.
wenn in den
Plan zu viele eingeweiht sind, denn dann
wird er verschleppt;
2. wenn (he Eingeweihten gegen einander
Neid hegen; 3. wenn bei
der Ausführung des richtigen Planes keiner
diesen recht versteht.
Ali hat gesagt: „Mit einem Geizigen berate
dich nicht,
denn er zieht dich vom Weg der Tugend ab.
Mit einem Feigling
berate dich nicht, denn er raubt dir den
Mut. Auch mit einem
Hochmütigen berate dich nicht, denn er wird
dich kleinmütig
machen/" Allah hält diese drei Din^e
für schlecht.
556
Möge Allah dem Padischali und dem Wesiren
dazu verhelfen,
daß sie die guten Ratschläge der Ulemas und
Weisen
anhören und den richtigen Weg finden.
Drittes Kapitel.
Dies Kapitel handelt vom Gebrauch der
Waffen, von der
Kriegführung und vom Äneifern der Soldaten
zum Kampf.
Allah hat im Koran gesagt: „Auf ihr
Gläubigen, greift
zu den Waffen !
" Waffe ist alles, was in der Schlacht
gebraucht
wird, also muß man den Gebrauch von allen kennen,
den der
Streitaxt ebenso, wie den der Schußwaffen.
Die Vernachlässigung
der Anwendung des Gijom 1 und Jarak 2 hat
die Flucht in der
Schlacht zur Folge, wie das auch im Egerer
Feldzug auf der
großen Walstatt3 zu sehen war. Insbesondere
seit der in Rum
und Bosnien vorgefallenen Wirrnisse ist die
Art des Kampfes
gegen den Feind nicht mehr bekannt, und
deshalb sind sie
geflohen.
Die Ursache hievon ist, daß die Serasker
die Soldaten nicht
mehr selbst inspizieren, oder daß sie es
nur lässig tun. Es ist
nötig, daß die Musterung von den
Kommandanten selbst durchgeführt
werde und daß sie nicht bloß die Soldaten,
sondern auch
die Kriegsausrüstung und die Pferde
visitieren, und daß sie außer
sich selbst niemanden vertrauen. In den
alten Zeiten haben die
Padischahs selbst dies getan.
Als Iskender einmal Musterung über seine
Soldaten hielt,
erschien ein Reiter vor ihm auf einem
lahmen Pferd. Iskender
befahl, ihn aus dem Heer zu entfernen. Da
begann der Soldat
zu lachen. Iskender fragte, warum er lache,
da er doch aus dem
Heer entlassen sei. „0 Padischali!
entgegnete er, ich wundere
mich über dich und darum lache ich. Ich
lache darüber, daß du
auf einem Pferd sitzest, das gut läuft, daß
ich dagegen auf einem
1 r**^i (Gijom) ist eine vollkommen
unbekannte Waffe. Dies Wort
gibt es in der heutigen türkischen Sprache
nicht mehr.
- öf;w> (Jarak) war eine lange Lanze
:i Im Gefecht bei Mczokeresztes.
So"
solchen Pferd sitze, das nicht weglaufen
kann, ich also gezAvungen
bin. im Kampf auf meinem Platz auszuharren.
Weshalb jagst
du mich also weg?" Hierauf beließ ihn
Iskender im Heer.
Padischah Amru ben Lais hielt Musterung.
Ein Soldat kam
auf einem mageren Pferd vor ihn und der
Padischah sagte : „Gott
strafe diese Verdammten, sie mästen mit dem
Gelde, das sie aus
der Schatzkammer erhalten, den Rücken
ihrer Weiber, verschwenden
ihren Sold auf ihre Weiber und füttern die
Pferde
nicht." Darauf antwortete der Soldat:
„Ach Padischah! wenn du
den Rücken meines Weibes sehen würdest,
würdest du ihn noch
magerer finden, als den des Pferdes."
Da lachte der Padischah
und befahl, ihm Geld zu geben, imd sagte:
„Nimm das Geld
und mäste damit dein Weib und dein
Pferd."
Diese zwei Vorfalle beweisen, daß die
Padischahs in alter
Zeit niemandem vertrauten, sondern selbst
nach dem Heer sahen.
Hieraus folgt, daß Musterungen nötig sind,
insbesondere in der
heutigen Zeit, denn jetzt in dem Kampf mit
den Ungläubigen
sehn wir, daß unsere Schwäche nur aus der
Vernachlässigung
dieses einen Unistandes stammt. Jetzt
beginnt der Feind, durch
die Verwendung einiger Kriegsmittel über
uns zu siegen. Wenn
auch wir dieselben anwenden, werden wir die
Verdammten besiegen,
denn der islamitische Glaube ist Stärke ;
aber jetzt hat
der Feind durch den Gebrauch einiger
Kriegsmittel, neuartiger
Gewehre und Kanonen, die unsere Soldaten
einzuführen versäumt
haben, die Oberhand gewonnen, ja bei uns
werden auch die von
altersher gewohnten Waffen vernachlässigt.
Dann ist es nötig, daß der Padischah oder
die Serasker
die Soldaten zum Kampf aneifern, damit sie
sich nicht fürchten.
Allah befahl dem Propheten : „ Oh Mohammed
! eifre die Gläubigen
zum Kampf an!" Und wie vor Beginnn des
Kampfes, so ist es
auch im Kampf selbst nötig, zum Aushalten
anzufeuern, denn
dadurch werden 1000 Gläubige selbst 2000
Ungläubige besiegen,
weil Gott den Sieg dem Standhaften gibt.
Deutlich war dies auch im jetzigen großen
Gefecht 1 zu
sehn, als der größere Teil des
islamitischen Heeres beim Zu-
1 Bei Mezökereszti
558
sammenstoß mit der großen Feindesmaeht
floh, unser erhabener
Monarch, Sultan Mohammed Khan dagegen
tapfer und geduldig
auf seinem Platz 1 ausharrte, wie die
starke Mauer Iskenders,
und daher aus Gottes Gnade die eiteln
Ungläubigen eine solche
Niederlage und schmähliche Flucht traf, daß
man bis zum
jüngsten Tag unter den Menschen davon
reden wird. Möge uns
der erhabene Gott immer solchen Sieg
verleihen und unsere
Tapferkeit steigern!
Allah hat zum Propheten gesagt: „Wenn ihr
mit dem
Feind zusammentreffet, seid standhaft, und
wisset, daß das
Himmelreich im Schatten des Krieges und der
Schwerter ist."
Allah hat gesagt: „Mit Geduld werden Sieg
und Erfolg leicht
sein." Wie der Magnetstein das Eisen
an sich zieht, so erringt
die Geduld Sieg und Triumph. Daher sagt
man, daß die Geduld
eine Leiter sei, und wer sie hinansteigt,
entgeht der Reue.
Der Krieger bedarf der Eigenschaften
einiger Tiere : er sei
streitbar wie der Hahn, starken Herzens wie
der Löwe, stürmisch
im Angriff wie der Wildeber, geduldig wie
der Hund, vorsichtig
wie der Kranich, bedächtig wie der Rabe,
reißend wie der Wolf.
Ein alter Padischah sagte : „Den tapferen
Mann liebt auc
sein Feind, den Furchtsamen, Feigen dagegen
verachtet jedermann und nicht einmal die eigene Mutter liebt ihn."
Insbesondere trifft dies an den Grenzen von Rum und Kroatien zu, den wenn man
bei einem der unsrigen Tapferkeit bemerkt, wird er
geliebt und gerühmt, ja man sendet ihm
für seine Tapferkeit auch noch Geschenke ; wer aber als feige erkannt wird,
der wird verachtet und bisweilen werden ihm als Spott Weiberkleider geschickt.
Schätze niemanden gering, denn wenn er über dich
siegt, wird man dich nicht loben und dir
Alferm (Alferm = es ist gut, es ist lobenswert) sagen.
1 Nach den christlichen
Geschichtsschreibern ist auch der Sultan
geflohen (s. Eugen Horväth, Magyar hadi
krönika — ungarische Kriegs-
Chronik. Budapest, 1897. Seite 136), dies
ist aber eine irrige Angabe.
S. Evlia Cselebi, Magyarorszägi utazäsai
(Ungarische Reisen). II. Budapest,
1908. Seite 136, und des einstigen Pecsevi
Tarikh, Konstantino peler
Ausgabe, 1866, II. Seite 200.
559
Wenn der Padischah einen Feind besiegt und
unterwirft,
soll er die Begs dieses Feindes nicht in
ihren Stellen belassen,
denn der Fanatismus, die Rache -und
Feindseligkeit verläßt ihr
Herz nicht, sondern verbirgt sich dort in
ihrem Herzen und
geht auch auf ihre Kinder über, wie wir
dies bei den Emiren
der Moldau, 1 Walachei 2 und Siebenbürgens
im Jahre 1003 3 sahen.
An den Begs der Wilajets Moldau, Walachei
und Siebenbürgen
— Gott verdamme sie — hat es sich
bestätigt, daß sie in ihrem
Herzen den Haß und die Feindseligkeit
beinahe seit fünfzig
Jahren verborgen hielten, und als sie die
Sorglosigkeit der islamitischen
Emire sahen, fanden sie die Gelegenheit
günstig, siegten
und raubten aas der Reihe der ihren
Wilajets benachbarten islamitischen
Städte 27 Städte und Gemeinden aus und
verwüsteten
sie.
4
Ich behaupte bei Gott, daß wenn in diesen
Angelegenheiten
auch fernerhin mit der gleichen
Sorglosigkeit verfahren wird,
sie nach ihrer Gewohnheit bei der ersten
Gelegenheit sich erheben
und dem islamitischen Volk Schaden zufügen
werden.
Folglich ist Klugheit nötig, die erfordert,
daß im islamitischen
Reich, auf dem Boden Rums, in den in der
Richtung der-
Residenzstädte des Padischah, Istambul und
Edirne hegenden
Orten die ungläubigen Wilajets nicht ungläubigen
Begs anvertraut
werden, denn dies ist nicht richtig."
Viertes Kapitel.
Dies Kapitel handelt von den Gründen, die
die Hilfe des
erhabenen Gottes für den Sieg gewinnen,
und erläutert auch die
1 Türkisch : Bogdan.
- Türkisch : Kara-iflak.
3 1595 n. Chr.
4 Diese Bemerkung bezieht sich auf den
Feldzug Sigismund Bäthorys,
den er 1595 mit dem Woiwoden Michael aus
der Walachei und dem
Woiwoden Aren aus der Moldau gemeinsam
gegen die Türken unternommen
hatte.
5 Der Verfasser machte liier den sonderbaren
Vorschlag, es sollten
in Siebenbürgen, der Walachei und Moldau
an die Stelle der Woiwoden
türkische Gouverneure eingesetzt werden.
56i
die Niederlagen herbeiführenden
Ereignisse. Möge uns Allah vor
Niederlagen schützen
!
Unter den obigen Gründen steht die
Tapferkeit und
Tüchtigkeit der islamitischen Soldaten
obenan. Allah sagt im
Koran: „Der erhabene Gott ist mit den
Frommen." An anderer
Stelle wieder sagt er: „Der erhabene Gott
ist mit denen, die
sich der Sünde enthalten und Gutes
tun." Es ist kein Zweifel,
daß der Sieg nur mit Hilfe Gottes eintritt,
deshalb ist es eine
wichtige Aufgabe des Padischahs und der
Wesire, das Kriegsvolk
von der Sünde, dem Aufruhr und den
neuentstandenen sogenannten
Kaffeehäusern und andern unnützen Dingen
fernzuhalten.
Bei den Soldaten sollen sie auf das Gute
und auf die Tugend
ihr Augenmerk richten und es bevorzugen,
denn dadurch eifern
sie die Schlechten zum Guten an.
Der zweite Grund des Sieges ist das Gebet
der Ulemas,
der Scheiche und der Armen, denn der
Prophet hat gesagt:
„Durch die Schwachen werdet ihr siegreich
sein."
Ein anderer Grund des Sieges ist die
Fürsorge des Sultans,
im, Falle des Sieges die Austeilung von
Gnadenbezeugungen,
Einhaltung seiner Versprechungen, bei der
Flucht aus dem Kriege
aber strenge Strafe. An den Grenzen von Rum
ist die Fahnenflucht
schon weit verbreitet, insbesondere aber
bei uns an der
bosnischen Grenze. Zur Hintanhaltung dieser
Fahnenflucht muß
für ein geeignetes Mittel gesorgt werden.
Der Prophet hat gesagt,
daß drei Dinge vor allem Allahs Hilfe
würdig sind:
1. wer auf Allahs Wegen für den Glauben
kämpft, 2. wer
sich nur deshalb verheiratet, um nicht in
Sünde zu verfallen,
3. wer sein Reich samt seinen Untertanen
dem Studium der
Schriften weiht.
Ein anderer Grund des Sieges ist der
Gehorsam der Soldaten.
Unter den Soldaten sei der Gehorsam, die
Freundschaft,
die Einhelligkeit vollkommen, und sie mögen
sich vor Feindschaft
untereinander hüten. Unter den Soldaten
ist die Freundschaft
und Einhelligkeit von großer Wichtigkeit, aber
in unsern
Zeiten gibt es sie nicht mehr; die
Zwietracht hat sich vervielfältigt,
und Trotz und Uneinigkeit haben sich
verbreitet.
501
Wenn die aufgezählten Gründe gegeben sind,
ist es noch
nötig, daß das Vertrauen zu Allah und der
Glaube an die Wunder
des Propheten vorhanden sei. Ein solches
Heer wird sodann siegreich
sein.
Die Gründe, die die Niederlage und die
Flucht unseres
Heeres zur Folge haben, begründen den Sieg
und die Herrschaft
der Ungläubigen.
Der erste Grund hiefür ist, wenn man alles
so gehn läßt,
wie wir es oben beschrieben haben. Die
Ursache für den Sieg
der Ungläubigen und die Niederlage unseres
Heeres ist die Verirrung
und der Aufruhr unter unseren Soldaten,
Sowie sich das
Kriegsvolk zu empören anfängt, beginnt auch
seine Niederlage.
Allah sagte zu einem Propheten: „Wenn ein
Knecht, der mich
kennt, sich wider mich empört, setze ich
solche, die mich nicht
kennen, über ihn zum Herrscher ein. "
Der Prophet hat gesagt
:
„Mit Tyrannei siegt niemand."
Schwelgerei, Gewalttätigkeit, Unglaube
ist Verrat gegen die Religion ; der
Verräter aber ist feige
und furchtsam ; der Furchtsame und Feige
aber flieht im Kampf.
Auf dem Boden Rums greift die
Gewalttätigkeit um sich. Seit
drei Jahren oder in den letzten drei Jahren
vor 1004 kommen
unter den islamitischen Soldaten
Gewalttätigkeiten und Feindseligkeiten
vor, viele Kriegsleute haben in den Dörfern
und
Städten die Ruchlosigkeit verbreitet,
raubend und plündernd den
Muselmanen das Vermögen abgenommen und den
Frauen und
Kindern der Muselmanen Gewalt angetan, den
Rajas die Lebensmittel
geraubt und sogar die Armen gequält.
Insbesondere das
unter dem Namen Khunkjar Kuli 1 bekannte
Volk hat solches
verübt. Deshalb hat Gott dem Feinde Macht
über uns gegeben.
Der Feind hat die Grenzen des Landes Rum
angegriffen, ist dort
eingebrochen und hat viele Burgen erobert.
Preis sei Gott, denn durch die hohe
Denkungsart und die
starke Herrschaft Seiner Majestät, des
mächtigen Padischah Sultan
Mohammed Khan haben auf dem bekannten
Schlachtfeld2 jene ihre
1 Khunkjar Kuli = Diener des Kaiser«. Über
diese Unruhen schreibt
Hammer Genaueres im oben zit. Werke, Band
II. Seite 563—570.
- Bei Mezökeresztes.
36
562
Strafe empfangen. Wir bitten den erhabenen
Gott, daß er in
Hinkunft nocli mehr Rache an ihnen übe.
Dies ist aber deshalb so gekommen, weil im
islamitischen
Heer diesmal keine Verwirrung herrschte,
kein Versäumnis und
keine Gedankenlosigkeit vorfiel, die
Soldaten ihren Sold und ihre
Lebensmittel rechtzeitig erhielten. Allah
erleuchte das Herz der
Padischahs und Wesire
!
Ein Grund für die Niederlage ist auch
noch, wenn die
Gelegenheit nicht erspäht und die Schlacht
nicht zur rechten
Zeit begonnen wird. Noch ein Grund für die
Niederlage ist die
Vermess*enheit, und daß der Feind für
gering und schwach gehalten
wird. Man muß sich vor allem hüten, was
zur Sorglosigkeit
führt, und jede Angelegenheit überlegen.
Möge Allah alle
unsere Unternehmungen mit Erfolg krönen!
Die Besiegelung des Friedens und Vertrages.
Allah hat im Koran gesagt: „In allen
Feindseligkeiten ist
der Friede das Beste." Man hat gesagt:
„Kampf und Schlacht
sind hart und bitter, aber der Friede ist
eine sichere und heitere
Sache." Der geistreiche Padischah
Kejkhasrev hat gesagt: „Es
ist eine große Sünde mit dem Krieg zu
führen, der den Frieden
will." Der kluge Padischah Erdeschir
hat gesagt: „Ich gebrauche
nicht gegen jeden Empörer das Schwert, wenn
der Stock genügt.
Wenn aber ein kluges Wort den Feind
bezwingt, beginne ich
nicht den Kampf mit den Waffen." Man
hat gesagt: „Der Friede
erhält das Vermögen und die Ehre."
Allah spricht im Koran : „Am Tag der
Auferstehung wird
nach dem Vertrag gefragt", d. h. man
darf einen Vertrag nicht
brechen ; wer ihn verletzt, wird in jener
Welt verantwortlich sein.
Verträge zu halten, ist eine wichtige
Sache, denn für Vertragsbruch
gibt es auch in dieser Welt Strafe.
Der Prophet erwähnt im Hadis 1 fünf Dinge,
die böse Folgen
haben: 1. wenn ein Volk den Vertag bricht,
übergibt es Gott
in seiner Feinde Gewalt ; 2. wenn ein Volk
gegen Allahs Gebot
handelt, schlägt die Armut bei ihm ihr
Lager auf; 3. wenn
sich bei einem Volk Unzucht zeigt, tritt
bei ihm die ansteckende
1 Die mündliche Tradition des Propheten.
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Krankheit auf; 4. wenn ein Volk die
Gewichte fälscht, wird bei
ihm Brot und Heu zur Neige gehen ; 5. wenn
ein Volk kein
Almosen gibt, wird ihm der Segen des Regens
entzogen werden.
Hiemit schließt unser Buch.
Allah allein weiß in allen Dingen den
richtigen Weg.
Wer die in diesem Buch enthaltenen Worte
der Weisheit in
tiefer Betrachtung erwägt, wird darin alles
finden und nicht
andere detailliertere und umfassendere
Werke studieren müssen.
Schließlich findet sonst auch die Rede kein
Ende. 1
Mit Hilfe Gottes des Erhabenen, der alles
vollkommen
weiß, wurde dies Buch im gesegneten Monat
Zilhidsche des
Jahres 10042 nach der Flucht des Propheten
verfaßt und niedergeschrieben.
Dann nach meiner Rückkehr3 vom Feldzug
gegen
die Feste Eger elfolgte die Ausfertigung,
Niederschrift und Reinschrift
dieser kleinen Übersetzung im Monat
Redscheb des Jahres
1005 4 in der bosnischen Burg Ak-Hissar.
Die ausgezeichneten Regierenden und das
Volk mögen
seinen Inhalt erfassen und darnach handeln
und der segensreiche
Erfolg wird in den islamitischen Ländern
überreich sein. Ich bitte
sie, dies Buch durchzusehen und mit
gnädigen Augen zu prüfen,
um die darin vorkommenden Fehler mit dem
Mantel der Verzeihung
zu bedecken und in Gnade zu entschuldigen.
Beendet mit Hilfe Allahs des Erhabenen.
Dies ist der Text der Egerer türkischen
Denkschrift. Mit
einem Streiflicht leuchtet es in jene Zeit,
wo die siegreichen
türkischen Heere auch auf den Türmen von
Eger den Halbmond
aufgepflanzt hatten.
1 Hier folgt ein langes Schlußgebet, das
jedoch mit dem Text nicht
im Zusammenhange steht und daher in der
Übersetzung fortgelassen wurde.
- Monat August 1596 n. Chr.
5 In der Handschrift : Kalai-i Egri
seferinden gelüp (von dem
Egerer Feldzug nachhausgekehrt).
1 Zweite Hälfte Februar und erste Hälfte
März 1597.
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