Vorwort
zum hiſtoriſch-dramatiſchen Tongemälde „ Zrinyi“.
in Aesthetische Rundschau 1866
Niclas
Zrinyi! Welch wunderherrliche Erinnerungen und Gefühle rufſt du wach,
geheiligter Name, den die Unſterblichkeit mit ſtrahlenden Zeichen in ihr Buch
geſchrieben! Wenn je eine That das menſchliche Geſchlecht adelt und es in ſich
ſelbſt erhebt, ſo iſt's die deine! Zum erſten Male ſeit Leonidas und ſeiner
dreihundert Spartaner männlich-tugendhafter That weiſt die Welt mit Zrinyis und
der Seinen uneigennütziger Aufopferung Ebenbürtiges wieder auf! Und dieſe
wunderbare That geiſterhafter, überirdiſcher Heldenentſagung aus glühender
Liebe zum Vaterlande und treueſter Treue an ſeinem Herrſcher, dieſe wunderbare
That, die nicht nur des eigenen Volkes allein – die der geſammten Menſchheit
heiligſten Stolz wachruft, – jene erhabene Perſönlichkeit, Leonidas mit Curtius
in ſich paarend – ſollte ſie nicht der würdigſten eine ſein, in tönenden
Klängen fortzuleben? Gibt es Würdigeres für begeiſterten Geſang, als die großen,
edlen Thaten edler, großer Völker und Männer? Orientalen, Hellenen und Römer,
Barden und Skalden ſangen den Ruhm großer Männer und entflammten, befeuerten
– hätte die Dichtung aller Zeiten wohl eine
mindere und weniger würdige Aufgabe zu vollbringen, als eben dieſe? Oder ſoll
ſie ſich etwa an Stoffen der Alltagswelt laben, und ſchon gänzlich vergeſſen
des erhabenen »odi profanum vulgus“? Soll ſie ſich in weinerlich-weibiſchem
Weltſchmerz ergehen und ſo die Lähmung jeglicher Thatkraft bewirken? Nein, es
gibt einen Weltſchmerz, größer als jener des zum ſkeptiſchen »Fauſt“ gewordenen
individuellen Dichters, – wer das nationale Streben, Sehnen und Ringen der
Völker, dieſen erhabenen Weltſchmerz aller Zeiten, nicht in ſeinem
dichteriſchen Weſen erfaßt – der hat ſeine Zeit ſelbſt nicht begriffen und
dichtet umſonſt. Der freien Dichtung kann kein würdevolleres Ziel vorleuchten
als jenes, die köſtlichen Blumen zu pflücken, die dem Schooße nationalen
Dichtungsdranges entſproſſen, und ſie zu duftigen und unverwelklichen Sträußen
zu binden. Der Dichter ſelbſt aber ſteht über dem nationalen Treiben; er
eignet ſich, ein wahrer Weltbürger, das Dichteriſch-Schöne der Nationen an, er
muß ihnen dadurch zu Gemüth reden und dichten, ohne einer und der anderen von
ihnen anzugehören, denn durch das Wollen des Schönen gehört er eben Allen an.
Und iſt nicht Muſik die Weltſprache, die
die entfernteſten Welten aneinander bindet? Eine Sprache, die überall
verſtanden wird, wo menſchliche Herzen ſchlagen. Und dieſe gewaltigſte und Eine
unter allen Sprachen, die alle übrigen in ſich faßt und ſie alle in ihr Idiom
allgemeinverſtändlich überſetzt – dieſe freieſte und luftigſte aller freien
Dichtungsformen, ſie ſollte ſich nicht endlich frei regen dürfen allſeits,
ohne zu ſogenannten »Schulen“ zu gehören? Man war bisher gewohnt, eine
deutſche, franzöſiſche und italieniſche Muſikgattung anzuerkennen. Die Zeit iſt
hoffentlich gekommen, wo dieſe Entweihung der freieſten dichteriſchen Kunſt aufhören
muß, – es gibt keine ausſchließlich deutſche, italieniſche und franzöſiſche
Muſik mehr; es gibt nur Eine Sprache der Töne, die ſo viel Dialecte redet, als
muſikaliſche Nationen vorhanden ſind, d. h. eben, jede Nation drückt der
Tonſprache im Geſange den dichteriſchen Nationalcharakter auf; daher der
Tondichter dramatiſcher Werke von nun an ſeine Geſtalten muſikaliſch
charakteriſiren muß nach Art ihres ihnen eigenthümlichen Geſanges. Die Zeit
des Einzelberechtigten iſt vorüber, die der berechtigten Geſammtheit bricht
an.
Inſoferne nun die Oper, d. h. das durch
Muſik idealiſirte Drama, es mit dichteriſcher Darſtellung bedeutungsvoller
geſchichtlicher Momente und Abſchnitte zu thun hat, verherrlicht ſie, als ge waltige
Wort- und Tondichtung, natürlich eben die Nation, deren geſchichtliche
Heldenthaten ſie durch Töne idealiſirt. Daher kann und muß eine
hiſtoriſch-dramatiſche Tondichtung mit Fug und Recht nicht anders denn eine
Nationaloper im weiteſten Sinne genannt werden. Bei ſolcher Anſchauung aber iſt
ſchon die Form der muſikaliſch-poetiſchen Behandlung von ſelbſt gegeben. Das charakteriſtiſch
nationale Element muß hierbei in der Tondichtung ſelbſtverſtändlicherweiſe in
ſeiner vollſten Berechtigung auftreten, und ſich in muſikaliſch objectiver
Charakteriſirung geltend machen, unbeſchadet des Ausdrucks rein menſchlicher
Gefühle und pathetiſcher Situationen, wobei die Tondichtung dann eben von
jeglicher Localfärbung abſtrahirt und als alleiniger Ausdruck der Situation erſcheint.
Die Nationen, als dichteriſche
Individualität aufgefaßt, ſind ein ſo mächtiger und unerſchöpflicher Born
hehrer dichteriſcher Eingebung, da ſie die Einbildungskraft zu gewaltigſtem und
herrlichſtem Schaffen anregen. Es iſt ein unergründlicher Schacht der Poeſie,
in den der Dichter hinabtaucht, um ſtets die koſtbarſten, ſtrahlendſten
Edelſteine idealen Schaffens auf die Oberfläche zu befördern!
Und könnte die Grundidee eines
hiſtoriſch-muſikaliſchen Dramas, nach unſerer Anſchauung als National-Oper im
weiteſten Sinne erfaßt, wohl eine andere ſein, als eben die Verherrlichung eines
geſchichtlich-hervorragenden Volkes in ſeinen edelſten Helden und deren für
die Menſchheit bedeutſamſten Thaten? So beſangen die unſterblichen
Eiviliſatoren menſchlichen Geſchlechtes, die Hellenen, ihre ſchönſten Thaten in
dichteriſchen Kampfſpielen mit claſſiſch äſthetiſcher Weihe; ſo ertönten
Oſſians mächtige Harfenklänge, das Höchſte zu beſingen, worauf die edle
Menſchheit ſtolz, die hehren Thaten ihrer für den Ruhm des Vaterlandes
kämpfenden Helden!
Und wir, deren Zeitepoche die lieblichſte
und gewaltigſte der Göttinnen, die Harmonie der Klänge, ſo reich begünſtigt
hat, daß wir in tauſend und tauſend vereinigten Tonzungen unſeren Geſang mächtig
erbrauſen laſſen dürfen, wir, denen die Göttin die ganze unendliche Fülle
ihrer Tonwelten erſchloſſen, wir ſollten minder würdige Geſänge erſchallen
laſſen, als jene gewiß minder begünſtigten, und doch ſo hehren Sangheroen
grauer oſſianiſcher Vorzeiten, die, auf einſamen Felſen ſitzend, der Harfe
Klänge mit begeiſtertem Geſange hinabfallen ließen in die brauſende Meeresbrandung,
daß ſie ſich miſchten mit der Dommermuſik des Oceans!
Gewiß, ſo wie der Bildner Denkmale in Erz
gießt und in Stein haut, um Edles und Großes den Jahrhunderten zu überliefern,
eben ſo kann Euterpe ihr Monument den Würdigſten der Menſchheit in heiligen,
unvergänglichen Tönen ſetzen, daß ſie fortklingen und ſingen in die Zeiten, und
als mächtige Aeolsharfe ihre Accorde geiſterhaft mahnend hinüberſäuſeln in die
Jahrhunderte!
Der Dichter aber, als Menſch, vergeſſe freilich
bei ſolch gewaltger Arbeit nicht an des Vorgängers menſchlich-ſchönem Spruche
feſtzuhalten:
„Ut desint vires, tamen est laudanda
voluntas“ – denn das Edle wollen, iſt ſchon deſſen halbes Vollbringen, und: »wer
den Beſten ſeiner Zeit Genüge gethan, der hat gelebt für »alle Zeiten.“
Die Beſingung großer Thaten der Menſchheit
in ihren edelſten Helden iſt alſo, unſerer tiefſten Ueberzeugung nach, die
einzig würdige und würdevollſte Aufgabe der hiſtoriſch-dramatiſchen
Tondichtung, – denn ihrem gewaltigen Standpuncte nach ſoll ſie eben die
würdige Nachfolgerin der erhabenen Bardengeſänge ſein. Die Oper iſt demnach
keine muſikaliſche Unterhaltung, ſondern ein weihevolles Dichtungswerk.
Wir ſagen alſo, daß die dramatiſche
Tondichtung, welche hervorragende Thaten geſchichtlich großer Nationen beſingt,
mit beſtem Rechte eine Nationaloper im vollſten und weiteſten Sinne des Wortes
iſt, inſoferne die Nationen große geſchichtliche Individuen bilden, die ſich
charakteriſtiſch von einander unterſcheiden. Dieſe Breite der Auffaſſung der
Sache bedingt aber gleicherweiſe, daß die dramatiſche Tondichtung, die wir alſo
als Nationaloper bezeichnen, nicht innerhalb der engen Gränzen einer ausſchließlichen
Nationalität fallen darf, d. h. wir meinen, daß eine Tondichtung nicht deswegen
allein ſchon eine nationale benannt werden könne, weil ſie die enggezogenen
Gränzen nationaler Geſangsweiſe nicht überſchreiten dürfe, und indem ſie
ausſchließlich national-muſikaliſche Aeußerlichkeiten zur Schau trage, – nicht deswegen
allein, weil der Geſang, die Melodie nach ausſchließlich nationalem Typus
gemodelt erſchiene, einzig zu dem Zweck, um den ſpeciellen Nationalgeſang mit
einigen neuen liederartigen Melodien zu bereichern, und wodurch ſolcher
Dichtung an allgemein giltigem Intereſſe Abbruch und Eintrag geſchieht und
geſchehen muß. Nein, wir wiederholen es, in dieſem beſchränkten Sinne des
Wortes faſſen wir den Begriff der Nationaloper nicht auf. Die Nationen ſind ein
Theil jenes großen Ganzen, Menſchheit genannt, und helfen die Weltgeſchichte
bilden; daher haben hervorragende Thaten der einzelnen, wenn ſie geſchichtlich
epochemachend eingreifen, allgemeines Intereſſe für das Ganze, ſie ſind
bedeutſam in allgegemein menſchlichem Sinne. Die Edelſten aus allen Theilen der
Menſchheit gehören nicht nur ihrem Volke, ſie gehören der Menſchheit zu. Unſere
Anſchauung iſt alſo im cosmopolitiſchen Sinne zu verſtehen. Alſo auch die
dramatiſch-muſikaliſche Behandlung; in dem die Tondichtung ſtets die
eigenthümliche Farbe des mutionalen Gemäldes beobachtet, ſich aber, wo allgemeinmenſchliche
Regungen vor Allem hervortreten, von jeglicher Localfärbung abſtrahirend, zur
alleinigen reinen Sprache menſchlicher Gefühle und Leidenſchaften ſtempelt,
nur die innere Situation erfaſſend, von der außeren gänzlich abſehend.
Die dramatiſch-hiſtoriſche Tondichtung,
ihrer erhabenen Aufgabe gehorchend, nur das Größte zu beſingen, begeht ihren
höchſten Triumph, indem ſie die Völker zu ähnlichen erhabenen Thaten anſpornt
und begeiſtert. Denn die Dichtung ſoll begeiſtern, nicht lähmen,
Thatenfreudigkeit entzünden, nicht weichlichen Weltſchmerz eingießen, – ſie
ſoll höhere Welten erſchließen, nicht die Gemeinheit der Alltagswelt
wiederſpiegeln. Und welch eine Macht iſt wohl unwiderſtehlicher, gewaltiger, aufregender,
begeiſtender zu allem Schönen und Erhabenen, als die Macht des Wortes auf des gottgeweihten
Dichters Lippen, vermält mit der noch höheren Macht des farbenglühenden Tones.
In dem durch Tondichtung idealiſirten Drama
handelt es ſich alſo nicht allein um die Tondichtung ſelbſt, es handelt ſich,
inſoferne der dramatiſche Stoff national-geſchichtliche Epiſoden behandelt,
gleicherweiſe um muſikaliſch-nationale Charakteriſtik. Und um wie viel ſtrenger
muß Charakter da vorhanden ſein, wo das geſprochene Wort durch Töne gefärbt,
gemalt werden ſoll! Hier muß alſo die Objectivität der muſikaliſchen
Darſtellung gleicherweiſe der Träger der dichteriſchen Stimmung ſein, in die das
dramatiſche Tongemälde verſetzen ſoll. Die Nationalität muß durch die über der
Tondichtung ſchwebende Localfärbung gekennzeichnet ſein. Es ſollen, unſerer
beſcheidenen Meinung nach, von nun an die dramatiſch-muſikaliſchen Charaktere,
inſoferne ſie eben geſchichtlich-nationalen Epiſoden angehören, nicht mehr
ſubjectivformaliſtiſch behandelt werden; man erkenne den nationalen Charakter
der auf der Bühne einherwandelnden und handelnden Geſtalten an ihrem Geſange
gleicherart, wie man ſie an ihrer Tracht und ihrem ganzen äußeren Weſen
nothwendig erkennen muß.
Wenn nun die Volkstracht, wenn die
charakteriſtiſche Art des Sprechens, Handelns und ſich Geberdens, wenn das
Gemälde der Landſchaft das nationale Moment zu einem verſchiedenartigen ſtempelt,
– ſollen die Töne, der Geſang allein des kennzeichnenden Momentes entbehren?
Der Deutſche, der Romane, der Slave, der Orientale u. ſ. w., ſie alle
kennzeichnen und unterſcheiden ſich durch die Tracht, durch das landſchaftliche
Gemälde der Natur, die ſie bewohnen, durch ihre Sprache, durch ihren – Geſang.
Wenn alſo die verſchiedenen Völker gleichermaßen durch ihre Tonweiſen, beſſer
geſagt durch ihre Tonſprache, merrlich von einander abweichen, iſt nicht
muſikaliſch-nationale Charakteriſtik gleichfalls eine unerläßliche Bedingung
dramatiſcher Tongemälde?
Die Tondichter haben aber bisher ihre dramatiſchen
Ton ſchöpfungen meiſtens ſubjectiv behandelt, unbekümmert um das charakteriſtiſch-nationale
Colorit – und doch hat die Welt der Tonfarben auf ihrer rieſigen Palette
mannigfaltigſte und unendliche Tonmiſchungen aufzuweiſen, vom Grau des
nebelhaften eiſigſtarren Nordens bis zu den glühendſten Färbungen des ſtrahlenden
Südens. Der Tondichter war gewohnt, die nationalen Perſönlichkeiten ſeines
Tondramas ſtets mit der Tonfarbe ſeiner eigenen Nationalität zu malen; der
deutſche Tondichter dichtet ausſchließlich deutſche, der Italiener
italieniſche, der galliſche Tondichter franzöſiſche Muſik zu allen nationalen
Gebilden, die er muſikaliſchdramatiſch darſtellt. Nun aber, gerechtermaßen
zugeſtanden, wird der Maler eine nordiſche Landſchaft nicht mit den violetten
Tinten Griechenlands oder den glühendgelben Tinten Indiens, eine ſüdliche Landſchaft
nicht mit den grauen Tinten der Lüneburger Haide charakteriſtiſch darſtellen,
– er wird jedem Individuum die kennzeichnenden Gewänder ſeiner Nation anlegen,
– er malt den Aſiaten in faltenreicher, den Europäer in anſchließender Tracht,
er beobachtet die Farbe der Kleidung, er gibt dem Hellenen den maleriſcherhabenen
Faltenwurf, dem Römer die Toga. Und die Tondichtung allein hätte keine Tinten
und Farben, dem Gemälde auch nach dieſer Seite den höchſten Reiz zu verleihen,
den Reiz der Charakteriſtik? Nun aber ſteile der Tondichter eine geſchichtlichnationale
Epiſode der Magyaren etwa in italieniſchem, eine germaniſche in franzöſiſchem,
eine orientaliſche in deutſchem Tonſtyl dar u. ſ. w., – der Tondichter bleibe
hierbei in ſeiner nationalen Subjectivität oder Jchheit eng eingeſchloſſen, und
die muſikaliſchdargeſtellten nationalen Charaktere werden hierin gerade dasſelbe
Geſicht machen (inſoferne nämlich das Gehör das Auge iſt, das die luftigen
Tongeſtalten allein zu erblicken im Stande), als wenn man einer Minerva ſtatt
des Helmes einen Pariſer Damenhut aufgeſetzt, oder einem römiſchen Imperator
ſtatt des Sagum einen ſchwarzen Frack umgehängt hätte. (Schluß folgt.)
Vorwort zum hiſtoriſch-dramatiſchen
Tongemälde „Zrinyi“. (Schluß.)
Die Einheit in der charakteriſtiſchen Idee
erſtrecke ſich alſo auch auf dem dramatiſchen Geſang: Denique sit quidvis
simplex duntaxat et un um. (Horat. Epist. ad Pisones. 23. V.) Die gleiche Pein,
die wir muſikaliſch erleiden müſſen, den Sohn Aſiens auf der Bühne in einem
ſeinem Geſangscharakter fremden Style ſingen zu hören, dieſelbe Pein ſchwebt
dem unſterblichen Verfaſſer der literariſchen Styleinheit vor, wenn er ſagt:
Humano capiti cervicem pictor equinam Jungere
sivelit, et varias inducere plumas . . . . . . Spectatum admissi, risum
teneatis amici?
Aus allem dem Geſagten aber geht
ſelbſtverſtändlich hervor, daß, um die Einheit des Charakters auch in
muſikaliſcher Darſtellung zu erreichen und feſtzuſtellen, der Tondichter die
eigenthüm liche nationale Geſangsweiſe der Nation ſtudiren muß, deren Geſtalten
er dramatiſch-muſikaliſches Leben verleihen will. Denn die charakteriſtiſche Ton-
und Geſangsweiſe iſt bei verſchiedenen Völkern eine verſchiedene, wie dieß wohl
jedermann weiß. Jedes Volkhat eine ihm eigenthümliche originale Art und Weiſe,
ſeine dichteriſchen Gefühle ſowohl durch das Wort, wie durch den Ton kundzugeben.
Anders lautet der Geſang des Slaven, als jener des Germanen, anders ſingt der
Orientale, anders der Europäer.
Hiemit nun ſei zu wiederholen erlaubt, daß
jedes geſchichtlichdramatiſche Tongedicht eine Nationaloper im ſtrengſten und
edelſten Sinne des Wortes, im kosmopolitiſchen Sinne, iſt und ſein muß. Aus
dieſen kurzberührten äſthetiſchen Betrachtungen aber ergibt ſich die
unumſtößliche äſthetiſche Wahrheit, daß die göttliche Sprache der Töne Eine
Gewaltige und Untheilbare iſt; und daß es höchſtens eben ſo viele Style
muſikaliſcher Darſtellung geben kann, als es ſingende Nationen gibt, die ſich
von einander unterſcheiden. Denn gleichwie man im Reiche der Tondichtung von
einem deutſchen, franzöſiſchen und italieniſchen Muſikſtyle ſpricht, warum nicht
mit demſelben Rechte einen magyariſchen, arabiſchen, türkiſchen, griechiſchen,
ſlaviſchen Styl zugeben wollen?
Muſik umfaßt alle Völker der Welt, ſie
kennzeichnet und unterſcheidet ſie alle. Muſik iſt die Eine Univerſalſprache,
überſetzbar in alle Idiome der fünf Welten! Wird man wohl alle Völker mit
drei alleinigen Sprachen charakteriſiren wollen? Verbannt ſei die Tyrannei
dreier alleiniger Sprachen, die das Regiment für ſich in Anſpruch nehmen
wollen. Im Reiche der Ideale gibt es keinen Zwang der Ausdrucksweiſe, und
jegliches Dichtungsobject trägt ſeinen Stylund ſeine Charakteriſtik in ſich
ſelbſt. Und, erlaubt ſei uns die Wiederholung, wo iſt erhabenere Poeſie zu
finden, als im unerſchöpften Dichtungsborne der Völker! Welche Fundgrube poetiſcher
Diamanten, welch unermeßliche Welten, die ſich da erſchließen, welch
Urwüchſigkeit der Charaktere, welche Natürlichkeit und ſomit unendliche Tiefe
der Darlegung innerſten menſchlichen Weſens! Tauche, o Dichter, deinen Griffel
in die lebendige Farbe nationalen Dichtungsdranges, und drücke damit deinen
Geſtalten ewig wahres und darum unverlöſchliches Gepräge ein!
Die Geſangsweiſe des Orientes, jener
Weltgegend, aus der das Licht ſtammt und alles Schöne urſprünglich dem
Menſchen zugekommen, die Geſangsweiſe des Orientes enthält ſolch herrlich tönende
Myſterien in ſich, daß ſie geeignet iſt, der Tondichtung neue, nicht geahnte
Welten zu eröffnen. Die ſüßmelancholiſche Sehnſucht und reizvolle Eintönigkeit
aſiatiſchen Geſanges übt magiſche Gewalt über das Herz; und nicht umſonſt iſt
der Sohn des Oſtens ſtolz auf ſeine Tonweiſen, indem er von ihnen behauptet, ſie
umſtrickten unwiderſtehlich und mit nicht zu bannendem Zauber das Herz deſſen,
der ſie gehört; daher auch die magyariſche Tonweiſe, als am nächſten mit der
orientaliſchen verwandt, ſo glutvollpoetiſches, edles Leben aushaucht.
Blicken wir noch einmal nach rückwärts,
und faſſen wir die hier dargelegten Ideen kurz zuſammen.
Der Tondichter hat nun, unſerer hier
dargelegten Ueberzeugung gemäß, die Aufgabe, jede hiſtoriſch-dramatiſche
Dichtung im nationalen Sinne aufzufaſſen, will er anders den Charakter ſeiner Gebilde
bis auf die Tonfarbe vollenden; ſo daß er einen germaniſchen Stoff germaniſch,
einen ungariſchen ungariſch, einen orientaliſchen orientaliſch u. ſ. f. in nationalcharakteriſtiſcher
Geſangsweiſe darſtellt und färbt. Andererſeits darf, wie erwähnt, das, was wir Nationaloper
nennen, ſich nicht innerhalb der engen Gränzen der Nationalität ergehen,
inſoferne als Großes und Edles der ganzen Menſchheit als Eigenthum anheimfällt.
Doch eben der Reiz allſeitiger Charakterfärbung iſt geeignet, ſolch ein Werk
zum allgemein giltigen Dichtungswerke zu ſtempeln, indem die Tondichtung ſtets die
eigenthümliche Farbe des nationalen Gemäldes beobachtet, hingegen, wo ſich
allgemein menſchliche Regungen und Gefühle geltend machen, von jeglicher
Localfärbung abſtrahirt, und ſich zur alleinigen Sprache menſchlicher Gefühle
und Leidenſchaften ſtempelt, nur die innere Situation erfaßt, von der äußeren
gänzlich abſehend. Denn die Empfindungen und Gefühle der Liebe, des Dankes,
des Haſſes, der Sehnſucht, das Heer wogender Leidenſchaften ſind allgemeinmenſchliche
Momente, jeglichem Individuum, allen Völkern gemein. In ſolchen Situationen nun
kann von nationalmuſikaliſcher Charakterfärbung nicht die Rede ſein; hierbei
zieht ſich die Tondichtung in ihr eigenſtes, idealſtes Reich zurück. Dieſer Grundſatz
aber erſchließt der muſikaliſchen Behandlung dramatiſcher Charaktere neue Wege,
neue Myſterien herrlichſter Dichtung. Die hiſtoriſche Oper feiert gleicherweiſe
ihren höchſten Triumph, indem ſie, als rieſige Heldendichtung, durch Beſingung
großer Thaten nationaler Geſchichte ſtets wieder zu Großem und Edlem aufrüttelt,
entflammt und begeiſtert!
In vorliegender dramatiſcher Tondichtung hatte
es der Verfaſſer mit der nationalmuſikaliſchen Charakteriſirung zweier Völker zu
thun, die zwar in der muſikaliſchen Grundfarbe einander analog, doch im Colorit
der Geſangsweiſe von einander abweichen; glücklich und zufrieden, wenn er,
ſeinen hier ausgeſprochenen Ideen gemäß, ſeiner ſchwierigen Aufgabe
einigermaßen gerecht geworden.
Und nun ſei ſchließlich erlaubt, noch
einige Puncte über dramatiſche Tondichtung, unſeren eigenthümlichen
Anſchauungen zufolge, in kurzen Worten zu berühren.
Was den Gang der Handlung in der
hiſtoriſchen Oper betrifft, glauben wir meinen zu dürfen, daß ein Zuviel
dramatiſcher Handlung darin nicht ſowohl am Platze, wie in der luſtigen oder drolligen
Oper. Denn jene ſoll immerhin den Charakter und das Weſen ſtrengſten, erhabenſten
Ernſtes an ſich tragen, und tragiſche Situationen zu großartigen Tongemälden
ſtempeln. Schon das einzelne Individuum, um uns eines gewöhnlicheren
Vergleiches zu bedienen, tritt in ernſten Momenten langſamer und gemeſſener
auf, während der Fröhliche in raſtloſer Geſchäftigkeit ſich überſtürzend hin-
und hereilt.
Daß Wort- und Tondichtung in der Oper
einander würdig und ebenbürtig einherſchreiten müſſen, iſt eine ausgemachte,
nothwendig empfundene und gefühlte Wahrheit. Denn die Wortdichtung iſt darin
eben das der Tondichtung zu Grunde gelegte, wohl aus ſich ſelbſt motivirte
Programm; nicht aber ſoll das Wort dazu dienen, beliebig erfundenen Geſängen
zur Articulation zu dienen. Doch aber leuchtet die höhere Wichtigkeit der Tondichtung
in der Oper daraus hervor, indem es ſich hierbei eben um die idealiſirende
Tonfarbe handelt – indem ſich das geſprochene Wort zum geſungenen verhält wie
etwa Lithographie zum Oelgemälde; denn ſonſt dichtete man kein dramatiſches
Tongemälde, ſondern bloß geſprochenes Drama.
Ob in dramatiſcher Muſik Geſang oder
Declamation, d. h. Melodie oder Recitativ, vorherrſchen ſolle, iſt unſeres
Erachtens eine Streitfrage, wobei nur maßgebend wirken kann das ſubjective Gefühl
und der individuelle Styl des Tondichters, der ſich ſtets nur durch die höhere
Eingebung leiten läßt, und ihren Geboten unwillkürlich Folge leiſtet: »Est
Deus in nobis, agitante calescimus illo.“ Genug, wenn die Tondichtung den
Stempel dramatiſcher Kraft zur Schau trägt. Hier kann man mit Recht ſagen:
»Le stile c'est l'homme,“ und mit dem
Dichter wünſchen: »Singe, wem Geſang gegeben . . . . . . . «
Der hohe dramatiſche Geſang weiſt die
ſogenannte Coloratur zwar nicht zurück, wo ſie paſſend am Platze; allein ein
Mißbrauch jener würdigt ſeine majeſtätiſche Einfachheit zur leidigen Geſangsproduction
herab.
Profanation iſt es, dem Opernbuche, der
Wortdichtung (bisher Text oder Libretto genannt) am bezüglichen Orte die
»Arie, Recitativ, Duett, Terzett“ u. ſ. w. vorzuſchreiben; denn die Wortdichtung
der Oper iſt ja eben das mit breiten Zügen entwickelte fortlaufende Drama in
Worten – des Tondichters reizvolles Geheimniß iſt's, um das geſprochene Wort
und die dramatiſche Situation die Polyphonie der hehren Tonwelt zu ſchlingen,
oder den Einzelgeſang hervortreten zu laſſen, nach innerem Bedürfniſſe und
fortlaufender Einheit.
Vorliegende Ideen hier kurz entwickelt zu
haben, mag uns der Drang rechtfertigen, welcher einer individuellen und von
eigenthümlichem Standpuncte ausgehenden Anſchauungsweiſe die geiſtige Pflicht
auferlegt, zu ihrem eigenen Verſtändniſſe beizutragen.
Wir haben die Wortdichtung vorliegenden
Werkes mit freier Benützung des Körner'ſchen Dramas gedichtet. Da nun ſelbes eine
geſchichtlich erhabene Epiſode behandelt, und unſeren vorliegenden Ideen nach
die bisherige Bezeichnung »Oper“ nicht mehr recht genügt, indem das Wort »Oper“
ſeiner hergebrachten Bedeutung und ſeinem Begriffe gemäß vom hohen
Standpunctder Dichtung ſchon Manches zu wünſchen übrig läßt, und der darin
enthaltene vulgäre Nebenbegriff das äſthetiſche Gefühl mit leiſem Drucke zu berühren
anfängt – ſo möchten wir es gerne benannt haben ein „hiſtoriſch-dramatiſches
Tongemälde“ oder eine »hiſtoriſch-dramatiſche Tondichtung“.
Der hierin enthaltene »Schlachtgeſang
Zrinyis“, ſowie die zu jenem Choral geſungenen Worte:
»hört Ihr ſchmettern hell Drommetenklang, »Auf
zum Kampf ruft Pfeif und Trommelſang; „Das ſind Schlachtgotts Töne, „Auf zum
Kampf ruft er die tapfren Söhne, »Auf zum Kampfe, auf zum Kampfe, „Auf zum
Kampfe!« (Nach des Verfaſſers freier Ueberſetzung.)
haben nationalhiſtoriſches Intereſſe, und
tragen zur Charakteriſtik der Zeitepoche bei.
Indem wir uns ſchließlich in unwandelbarer
Verehrung beugen vor den großen Meiſtern des muſikaliſchen Dramas aller Zeiten,
ſei es uns hiermit erlaubt, auch nach unſeren Kräften einen Stein herbeitragen
zu dürfen zum Baue jenes rieſigen Domes, den die fortdrängenden Zeiten dem
Ewigſchönen aufthürmen ohne Unterlaß; jenem Ideal des Schönen, das ſeine
Gebilde dem Dichter leiht, und deß ſtrenges Gebot an ihn ergeht, Begeiſterung
zu ſtreuen für das Höchſte.
Es ſei uns gleicherweiſe geſtattet,
vorliegende Tondichtung als einen Beweis unſerer Verehrung darzubringen und zu
widmen der ritterlichen magyariſchen Nation, einem Volk von Helden, der Nation,
die den chriſtlichen Leonidas zu ihren unſterblichen, weltrettenden Söhnen
zählt – Niclas Zrinyi, den ſtrahlenden Namen, der des Dichters Phantaſie zu
dichteriſcher Begeiſterung entflammt, – einer Nation, die eben durch und mit
dieſem Namen für alle Zeiten verzeichnet hat auf ihrem Paniere die Worte der
edelſten aller Geſinnungen: »Uneigennützige Aufopferung in unwandelbarer Vaterlandsliebe
und Königstreue.“
v. Adelburg.
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